Die Privaten wollen den gesetzlichen Versicherern alles abjagen, was für diemedizinische Versorgung nicht existenziell ist
Von Ilse Schlingensiepen
Deutschland im Jahr 2025: Kommen Patienten zur Hüftoperation in die Klinik, entscheidet ihr Versicherungsstatus nicht nur darüber, ob sie im Einzel- oder Dreibettzimmer liegen. Haben die Hüftkranken eine Zusatzversicherung, wird ihnen eine Hüftprothese eingesetzt, die auf dem neusten Stand der Technik ist und aus hochwertigem Material hergestellt wurde. Wenn nicht, erhalten sie eine Billigprothese.
Was heute beim Zahnersatz gang und gäbe ist – die Wahl der Behandlung nach Zahlungsfähigkeit oder Versicherung der Patienten – könnte bald auch für andere Bereiche der medizinischen Versorgung gelten. Die stärkere Individualisierung des Krankenversicherungsschutzes steht auf der Agenda der Regierung. Dazu zählt der Ausbau der Zusatzversicherungen. In der Pflegeversicherung haben sich die Koalitionäre bereits auf die Einführung einer kapitalgedeckten Zusatzversicherung verständigt.
„Ich befürchte, dass die neue Regierung Interesse hat, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung klein zu halten und viel über Zusatzversicherungen laufen zu lassen“, sagt Birgit Fischer, Vorstand der Barmer Ersatzkasse. Zusatzangebote für gesetzlich Versicherte werden komplett in die Hände der privaten Krankenversicherer (PKV) gelegt, erwartet sie.
Zusatzpolicen wie die Reisekrankenversicherung oder die Unterbringung im Einbettzimmer im Krankenhaus waren lange die Domäne der PKV. Seit 2004 dürfen Kassen und Private in diesem Feld kooperieren, bekannte Partnerschaften sind die von Barmer und HUK-Coburg, AOK und DKV oder Techniker und Central. Im Jahr 2008 hatten die Privaten 21 Millionen Zusatzpolicen verkauft. Doch im April 2007 hat die AOK Rheinland/Hamburg erstmals eigene Angebote auf den Markt gebracht, gegen heftigen Widerstand der PKV. Mitte 2009 hatte die Kasse 68 000 Policen abgesetzt.
„Wir haben die Erwartung, dass die bürgerliche Koalition die gesetzliche Krankenversicherung wieder ordnungspolitisch sauber auf ihren Gründungszweck konzentriert“, sagt der Direktor des PKV-Verbands Volker Leienbach. Aufgabe der Kassen sei die notwendige gesundheitliche Versorgung der Versicherten, nicht die Bedienung von Zusatzwünschen. „Alles, was nicht essenziell ist, gehört nicht in die Sozialversicherung“, sagt Leienbach. Was aus dem Leistungskatalog genommen wird, hat bei den Kassen nichts mehr zu suchen, glaubt er. Leienbach sieht zudem die Gefahr, dass die Masse der Kassenmitglieder sonst Sonderleistungen für einige wenige finanzieren muss. „Wahl- und Zusatzversicherungen verstoßen systematisch gegen das Solidarprinzip.“
Das sieht der Chef der AOK Rheinland/Hamburg Wilfried Jacobs anders. Die PKV arbeite auch bei Zusatzversicherungen mit Risikoselektion. Deshalb müsse das Feld den Krankenkassen offenstehen, die auch Kranke versichern, fordert Jacobs. Nur so sei ein möglichst breiter Zugang zu einem umfassenden Schutz gewährleistet. „Eine Zusatzversicherung mit solidarischem Zugang ist notwendig.“ Die Kassen bräuchten mehr statt weniger Handlungsspielräume. „Wenn die Politik hier zugunsten der PKV handelt, ist der letzte Beweis geliefert, dass die schwarz-gelbe Regierung Klientelpolitik exzessiver Art betreibt“, sagt er.
Auch nach Meinung von Barmer-Vorstand Fischer darf das Engagement der Kassen nicht auf die Zusammenarbeit mit Privaten beschränkt bleiben. „Wir wollen als Unternehmen eigene Wahlmöglichkeiten anbieten können, die wir heute noch nicht haben“, sagt sie.
Quelle: Financial Times Deutschland
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