Für die Assekuranz wird das Geschäft mit Lebensversicherungen immer unattraktiver. Kunden müssen sich bei der Auswahl ihres Anbieters künftig überlegen, ob der wohl überlebt von Herbert Fromme
An das, was bei Delta Lloyd eben passiert ist, werden sich Versicherungskunden gewöhnen müssen: Konzerne legen Lebensversicherungstöchter einfach still, weil sie keine Zukunft mehr für sie sehen. Das Neugeschäft wird eingestellt, die bestehenden Verträge abgewickelt. Run-off heißt dieses „Ablaufen“ der Verträge in der Branche – durch das sich die Lage für Kunden zu verschlechtern droht.
Bislang war das in Deutschland die absolute Ausnahme. Doch vergangene Woche hat der niederländische Versicherer Delta Lloyd Groep, der zur britischen Aviva gehört, seine deutsche Tochter für neue Verträge geschlossen. Das Geschäft sei zu wettbewerbsintensiv, dazu komme das immer enger werdende Aufsichtsrecht mit Vorschriften und Gerichtsentscheidungen, die nach Ansicht der Niederländer die Kunden begünstigen.
Munich Re macht es vor
Delta Lloyd Deutschland ist keine Klitsche. Die frühere Berlinische Leben geht auf das Jahr 1836 zurück und hat 300 000 Kunden. Und Delta Lloyd ist nicht allein. Erst im November 2009 hat Munich Re die Stilllegung der Tochter Victoria Lebensversicherung mit 1,5 Millionen Kunden angekündigt. Künftig werden die Vertreter der Gruppe Policen unter der Marke Ergo verkaufen. Dahinter steht die Victoria-Schwestergesellschaft Hamburg-Mannheimer, die in Ergo Lebensversicherung umbenannt wird. Die Victoria Leben nimmt keine Neukunden mehr auf.
Für den Konzern ergibt das Sinn. Die Victoria Leben war kaum noch konkurrenzfähig. Sie hatte sich Anfang des vergangenen Jahrzehnts mit einem großen Aktienpaket verspekuliert. Als Folge konnte die Gesellschaft nur eine deutlich niedrigere Verzinsung als die Konkurrenz bieten.
Für Kunden jedoch heißt das nichts Gutes. Zieht sich eine Gesellschaft ganz vom Markt zurück, kann ihr der Ruf gleichgültig sein – und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie ihre Kunden entsprechend behandelt. Delta Lloyd hatte bereits Ende 2009 angekündigt, die laufenden Verträge 2010 nur noch mit 3,2 Prozent auf den Sparanteil zu verzinsen. Vorher waren es vier Prozent. Munich Re nimmt das Risiko eines Imageschadens in Kauf. Die Kunden dürfen nicht erwarten, dass sich ihre ohnehin magere Verzinsung noch einmal verbessert.
Für die Versicherten ist es schwer, ohne höhere Verluste den Anbieter zu wechseln, bei manchen Angeboten wie Rürup-Renten sogar fast unmöglich. Das liegt an der besonderen Konstruktion der deutschen Lebensversicherung: Mit einem Kundenstamm, der auf Gedeih oder Verderb an ein Unternehmen gekettet ist, geht man schon mal ruppiger um.
Dazu gehört auch der in angelsächsischen Ländern übliche Verkauf ganzer Bestände an Run-off-Spezialisten. Schließlich kann die Abwicklung 30 oder 40 Jahre dauern. Da ist es einfacher, die Verträge an jemanden abzugeben, der nichts weiter macht als Abwicklung – und dessen Gewinn davon abhängt, wie wenig er den Kunden zukommen lässt.
Manager in anderen Versicherungskonzernen beobachten genau, ob Delta Lloyd und Munich Re die Schließungen ohne größeren Widerstand durchsetzen können. Viele spielen mit ähnlichen Gedanken. Zahlreiche deutsche Lebensversicherer verdienen kaum Geld für ihre Eigner. Sie haben ihren Kunden vergleichsweise hohe Zinsgarantien gegeben, die heute im Schnitt des Bestands immer noch knapp unter 3,5 Prozent liegen. Das können sie mit der konservativen Anlagepolitik, die Lebensversicherer verfolgen müssen, bei den heutigen niedrigen Zinsen nur schwer verdienen. Dazu kommen verschärfte Vorschriften, die gerade unter dem Stichwort Solvency II auf EU-Ebene eingeführt werden und den Kapitalbedarf noch einmal erhöhen. Der Vertrieb ist teuer, der Markt umkämpft.
Das Ende einer Illusion
Mit dem Rückzug der ersten Gesellschaften muss sich die Assekuranz auch das Scheitern einer Illusion eingestehen. Viele Manager hatten jahrelang geglaubt, die private Altersvorsorge werde künftig zum wichtigsten Gewinnbringer – schließlich gilt der Markt für Auto- oder Gebäudeversicherungen als gesättigt. Das Kalkül: Weil Regierungen die staatliche Rente zusammenstreichen, müsste doch die private Rentenversicherung ein profitabler Selbstläufer werden, erst recht, wenn die Politik das Geschäft mit Riester- und Rürup-Förderungen ordentlich anschiebt.
Doch jetzt zeigt sich, dass die Versicherungskonzerne ihren Gewinn im Kerngeschäft Risikoschutz machen und nicht als Verwalter von Ansparverträgen. Es zeigt sich auch, dass die Anschubhilfe durch die Regierung nicht umsonst ist. Die Kehrseite dieser Medaille ist eine deutliche Verschärfung der Aufsichtsregeln – schließlich fühlen sich die Politiker verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Kunden kein Geld verlieren.
Kein Wunder, dass mancher Versicherer die Lust verliert oder ihm schlicht die Luft ausgeht. Die Branche wird sich konsolidieren, es gibt künftig weniger Anbieter. Für die Kunden bedeutet der Trend: Sie müssen bei der Auswahl eines Versicherers auch dessen Überlebenschancen ins Kalkül ziehen.
E-Mail fromme.herbert@guj.de
Quelle: Financial Times Deutschland
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