Kostenlose Services der Anbieter sollen Kunden locken
Der Geschäftsmann ist verunsichert. Es war nicht das erste Mal, dass er für sein Unternehmen zu Verhandlungen nach Moskau reiste. Doch so richtig warm war er mit den russischen Kollegen noch immer nicht geworden. „Die Gespräche ähneln oft einem Basar“, klagt er in einem Internetforum. „Wie kann ich die Russen überzeugen?“
Einen ersten Tipp könnte sich der Mann bei einem Kreditversicherer holen. „Sie sollten darauf gefasst sein, außerhalb des Büros viel Zeit in Kontaktpflege zu investieren – bei langen Abendessen oder einem Besuch in der Banja, der russischen Sauna“, informiert ein Business-Knigge auf der Internetseite des Anbieters Atradius. Detailliertere Hinweise bleibt er schuldig.
Kreditversicherer wie Coface, Euler Hermes oder Atradius bieten Firmen Deckungen gegen Zahlungsausfälle von Abnehmern an. Sie versuchen zudem, sich mit kostenlosen Angeboten wie interkulturellem Training, Länderratings oder Newslettern gegenseitig Kunden abzujagen – bleiben dabei aber oft oberflächlich.
Bei Atradius finden Hersteller, Abnehmer und andere Interessierte neben Hinweisen für den Umgang mit ausländischen Geschäftspartnern kostenlose Informationen zur Zahlungsmoral aller möglichen Branchen und Länder. Von der Weizenproduktion in Australien bis zur Stahlherstellung in China bewertet der Kreditversicherer mit Hilfe von Wettersymbolen die Geschäftslage. Er bietet einen Überblick, welcher Industriezweig gerade von einer Pleitewelle überrollt wird.
Überlegt eine Firma, Werkzeugteile nach Brasilien zu liefern, findet sie Informationen, ob dort aktuell viele Firmen in der betreffenden Branche insolvent gehen und kann dann beim Versicherer die Bonität seines Geschäftspartners prüfen lassen und Deckung beantragen. Coface stellt detaillierte und laufend aktualisierte Länderinformationen ins Netz. Ein Militärputsch in Honduras oder die Gefahr von Korruption in Kasachstan fließen in die Bewertung ebenso ein wie das Investitionsklima. „Die Entscheidung der Geschäftsleitung, ob sie an eine Firma liefert oder nicht, hängt oft maßgeblich von diesen Einschätzungen ab“, sagt Erich Hieronimus von Coface.
Bei Atradius sind außerdem Hinweise für ein ideales Forderungsmanagement abfragbar. Zahlt ein Kunde nicht rechtzeitig, sollte das Unternehmen freundlich nachfragen, ob es Probleme gebe, rät eine Infobroschüre. Bei Ausreden sollte es in einem persönlichen Gespräch den Grund für die Verzögerung suchen.
Laut Carlo Ries vom Makler Südvers bringen die Hinweise aber allenfalls Anfängern neue Erkenntnisse. „Die großen Firmen betreiben das Inkassogeschäft ohnehin professionell“, sagt er.
Die Ratings können seiner Meinung nach die Bonitätschecks der Versicherer nicht ersetzen. „Wären die Infos zu ausführlich, würde sich die Assekuranz ja selbst das Geschäft abgraben“, sagt er.
Anne-Christin Gröger
Quelle: Financial Times Deutschland
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