Die R+V Versicherung profitiert von ihrer Einbindung in dasgenossenschaftliche Bankenlager. Die Arbeit im Verbund beschert hohe Wachstumsraten, hat aber auch ihren Preis
VON Herbert Fromme
Eine der wenigen wirklichen Erfolgsgeschichten in der deutschen Assekuranz wird seit etwa zehn Jahren in Wiesbaden geschrieben. Jahr für Jahr gewinnt die Versicherungsgruppe R+V Marktanteile, zeigt Wachstumsschübe selbst in Zeiten, in denen wichtige Rivalen schwächeln. R+V steht für Raiffeisen und Volksbanken, der Konzern gehört zu 74 Prozent der DZ Bank. Auch die WGZ Bank und viele einzelne Genossenschaftsbanken sind beteiligt.
2009 hat die Gruppe ihren Marktanteil weiter ausgebaut. Sie liegt in der Lebensversicherung jetzt bei 6,5 Prozent, nach 4,6 Prozent im Jahr 2000. „Im Neugeschäftsbeitrag in der Lebensversicherung haben wir jetzt einen Marktanteil von 10,2 Prozent“, sagt Vorstandschef Friedrich Caspers nicht ohne Stolz. In der Schaden- und Unfallversicherung – Autos, Gebäude, Hausrat, Unfall- und Haftpflichtrisiken – kommen die Wiesbadener auf 6,7 Prozent, verglichen mit 4,7 Prozent neun Jahre davor. Über alle Sparten ist die R+V die Nummer vier in Deutschland, in einigen Bereichen sieht sie sich noch weiter vorn.
Eigentlich kann ein Versicherer in Deutschland kaum so stark wachsen, wenn er nicht viel Geld in die Hand nimmt – entweder für Zukäufe oder für Vertriebsmaßnahmen, um der Konkurrenz die Kundschaft abzunehmen. Seit Jahren stagniert das Prämienvolumen vor allem in der Schaden- und Unfallversicherung, in der die Assekuranz traditionell den größten Teil des Gewinns macht. Die R+V kauft zu, die jüngste Erwerbung war 2009 die kleine Condor-Versicherung in Hamburg, die vor allem über Versicherungsmakler vertreibt.
Doch Übernahmen erklären nicht die phänomenalen Zuwachsraten. 2009 legte die R+V um 8,4 Prozent auf 9,5 Mrd.Euro Prämie in der deutschen Erstversicherung zu. Davon stammten nur zwei Prozentpunkte von der Condor, der Rest kam aus bestehenden Geschäftsfeldern. Einschließlich der eigenen Rückversicherung, der verbundenen Versicherungsvereine und des Auslandsgeschäfts wuchs sie sogar um 11 Prozent auf 11,0 Mrd.Euro zu. Der deutsche Gesamtmarkt schaffte nur 4,1 Prozent.
Das Wachstumsgeheimnis enthüllt die R+V selbst durch ihre Gewinnzahlen. Mit 202 Mio. Euro verdiente das Unternehmen 2009 äußerst mäßig, mehr zwar als die 117 Mio. Euro des Vorjahres, aber im Vergleich zur Konkurrenz kaum vorzeigbar. Die Allianz Deutschland nimmt mit 27 Mrd. Euro etwa dreimal so viel ein wie der Wiesbadener Wettbewerber, lag aber mit dem Gewinn von 2,3 Mrd.Euro im Jahr 2008 und immer noch 1 Mrd.Euro 2009 um Längen vorn.
Offensichtlich bekommen die Banken, denen die R+V gehört, ihr Geld auf anderem Wege. Das Unternehmen zahlt Partnern, die Versicherungen über die Bankschalter verkaufen, vergleichsweise hohe Provisionen, heißt es in der Branche. Einzelheiten zur Höhe will Caspers nicht nennen, außer dass die Courtagen „wettbewerbsfähig“ seien.
Hohe Provisionen allein machen noch keinen erfolgreichen Vertrieb. Dazu gehören auch konkurrenzfähige Versicherungsangebote und ihre Integration in die IT der Banken, so dass der Verkauf am Bankschalter unkompliziert funktioniert. Schließlich profitiert der Konzern auch von einem Trend. Die Deutschen kaufen heute deutlich mehr Lebensversicherungen über Bankschalter als vor zehn Jahren. Und hier ist die R+V mit den Volks- und Raiffeisenbanken in der eigenen Familie klar im Vorteil.
Allerdings ist die R+V im genossenschaftlichen Bankenlager nicht allein. In Bayern macht ihr die Allianz scharfe Konkurrenz – jahrzehntelang waren viele Genossenschaftsbanken an der Allianz-Tochter Bayerische Versicherungsbank beteiligt und schickten ihr Versicherungsgeschäft lieber nach München als nach Wiesbaden. Konzernchef Caspers, viele Jahre selbst in der Topetage der Allianz, machte die Gewinnung der Schwestern für den genossenschaftlichen Versicherer zum Top-Thema. „Inzwischen haben wir mehr als 50 Prozent des Marktes bei den Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern“, sagt Vertriebschef Heinz-Jürgen Kallerhoff.
Die R+V profitierte davon, dass die Allianz in ihrer Zusammenarbeit mit den bayerischen Banken eine ganze Reihe Fehler gemacht hat – bei der Neuordnung der Strukturen in Deutschland schaffte der Marktführer die separate Bayerische Versicherungsbank ab und fusionierte sie mit der Allianz Versicherung. Das nahmen ihr viele Bankvorstände auf dem Land äußerst übel. Noch schwerer wog, dass der größte deutsche Versicherer von 2000 bis 2008 die Dresdner Bank kontrollierte und damit einen direkten Konkurrenten der Genossenschaftsbanken. Der Plan, viele Allianz-Vertreter zu Minifilialen der Dresdner zu machen, brachte die Genossen endgültig auf die Palme – 2004 musste die Allianz ihr Vorhaben in Bayern fallen lassen.
In Baden macht die Karlsruher Versicherung der R+V Konkurrenz, die zur W&W-Versicherungsgruppe in Stuttgart gehört. Dort habe die R+V ihren Anteil „sehr deutlich“ ausgebaut, erklärt Vertriebschef Kallerhoff.
Angriffe weiterer Rivalen bleiben nicht aus. Der Bankvertrieb ist sehr attraktiv für die Versicherer. Doch viele haben keinen festen Partner und versuchen, mit Lockangeboten in bestehende Beziehungen einzubrechen. So ist die Generali, deren Vertrag mit der Commerzbank im September endet, zurzeit mit guten Angeboten auch bei Genossenschaftsbanken unterwegs. Nicht überall stößt sie auf verschlossene Türen. Viele Banker haben gerne mehr als einen Versicherungspartner, um den Kunden Alternativen bieten zu können. Doch Kallerhoff glaubt, dass es sich um Strohfeuer handelt und der Vertrieb für mehrere Versicherer die Systeme der Banken komplexer und teurer macht.
Die Kehrseite der Medaille: Die R+V muss ihre Bankpartner, die gleichzeitig auch Eigner sind, sehr vorsichtig behandeln. So hat das Unternehmen mit Condor einen reinen Maklerversicherer im Stall. Nicht ausgeschlossen, dass ein Raiffeisenbank-Kunde plötzlich ein günstigeres Konkurrenzangebot über einen Makler bekommt, der eine Condor-Police anbietet. Für diese Fälle hat der Konzern jetzt klare Regeln geschaffen – dann können die Banken das Geschäft zu den günstigeren Condor-Bedingungen abschließen und behalten so den Kunden.
Quelle: Financial Times Deutschland
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