Das Flugverbot wegen eines Vulkanausbruchs und die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko nähren Zweifel am Geschäftssinn der Versicherer. Sie müssen sich fragen, ob ihr Angebot noch dem Bedarf ihrer Kunden entspricht
Von Herbert Fromme
und Anja Krüger
Die großen Versicherer hatten nicht lange gebraucht: Kurz nach Verhängung des Flugverbots über weite Teile Westeuropas am 15. April 2010 wegen des Vulkanausbruchs auf Island teilten die Marktführer mit, dass sie von der Sperre keine Schäden befürchteten. Wie bizarr! Die Aschewolke eines Gletschervulkans beeintächtigt das Wirtschaftsleben eines ganzen Kontingents massiv – aber es gibt keine Versicherungsschäden.
Erst spät dämmerte den Managern, dass dieses Bild nicht passt zu einer Branche, deren Geschäftsmodell die Übernahme von Risiken ist. Der Chef des weltgrößten Rückversicherers Munich Re Nikolaus von Bomhard versuchte die Ehrenrettung. Das Unternehmen habe den Airlines schon vor dem Vulkanausbruch eine Flugausfalldeckung angeboten, sagte er in einem Interview elf Tage später. Dabei ging es vor allem um Nebel und Schneefall. „Zu konkreten Abschlüssen ist es aber nicht gekommen.“ Vielleicht steigere die Aschewolke ja das Interesse auf der Käuferseite, so von Bomhard.
Der Vorwurf ist klar: Wenn die Airlines sich nicht versichern, ist das ihre eigene Schuld. Doch damit ist das Thema nicht vom Tisch. Erstens ist nicht geklärt, ob Flugausfälle wegen Vulkanasche versichert gewesen wäre, hätte es Abschlüsse gegeben. Konkrete Policenentwürfe gibt es wohl noch nicht. „Wir diskutieren das mit Kunden“, sagte Axel Theis, Chef des Marktführers Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). „Wenn genügend bereit sind, dafür den nötigen Preis zu zahlen, können wir ein Produkt anbieten.“
Zweitens geht es um ein anderes, viel gravierenderes Problem als die am Boden bleibenden Flieger. Die mögliche Unterbrechung von Lieferketten ist eines der größten Risiken, mit dem Unternehmen heute zu tun haben – und es ist nur zum Teil versicherbar. Erst wenn ein Sachschaden als Grund der Lieferunterbrechung feststeht, wenn die Computerchips nicht geliefert werden, weil die Fabrik abgebrannt oder das Flugzeug mit der Fracht abgestürzt ist, zahlt die Versicherung.
Die Deckung des Betriebsstillstands ohne vorausgegangenen Sachschaden sei ein Kernproblem der industriellen Versicherungskunden, stellt Günter Schlicht fest, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Versicherungs-Schutzverbandes (DVS). Der DVS ist die Lobby der Wirtschaft in Versicherungsfragen, alle großen Unternehmen sind hier vertreten. „Die Aschewolke über Europa hat uns auf besonders plastische Weise vor Augen geführt, welchen Grenzen die Versicherbarkeit unterliegt“, sagt Schlicht. Es müssen neue Lösungen für neue Probleme gefunden werden, fordert er.
Die Versicherer verweigern sich dem Problem nicht. Die Allianz-Tochter AGCS denkt über eine verbesserte Versicherung von Produktionsunterbrechungen nach. „Da sind wir dran“, sagte AGCS-Chef Theis. Die Kundschaft wolle, dass die Versicherer mehr Gefahren decke, die nahe am Unternehmensrisiko liegen. Darauf gehe die AGCS ein. „Dabei geht es zum Beispiel um die Unterbrechung der Lieferketten und Neuentwicklungen, Erprobungsphasen und Ähnliches.“
Auch die Munich Re ist seit zwei Jahren dabei, Lieferkettenunterbrechungen zu analysieren und ihre Versicherbarkeit vorzubereiten. Verschiedene, kaum kalkulierbare Gefahren müssen am Ende in eine Versicherung münden: Neben Vulkanausbrüchen können auch Terroranschläge, Hafenschließungen, politische Umstürze oder Ähnliches zu einem Stopp der Fließbänder führen.
Die Versicherer haben nicht ewig Zeit, die Sache drängt. In finanzstarken Konzernen wächst die Bereitschaft, Risiken im Haus zu behalten, statt sie an Versicherer zu transferieren. Vorreiter ist seit den 90er-Jahren ausgerechnet der Energieriese British Petroleum (BP), der jetzt mit der Katastrophe im Golf von Mexiko kämpft. Der Konzern liefert schon lange seine Risiken kaum noch bei der Assekuranz ab. Die Begründung: Die eigene Bilanz sei sehr viel größer als die der meisten Versicherer. Komme es zu einer Megakatastrophe, müsse BP sogar um die finanzielle Standfestigkeit der Anbieter fürchten. Die Manager behielten die Risiken lieber in den eigenen Büchern und sammelten bei hauseigenen Gesellschaften dafür Geld. So sparten sie auch die nicht gerade geringen Vertriebs- und Verwaltungskosten, die Versicherer verlangen.
Zahlreiche Konzerne sind BP inzwischen gefolgt und umgehen die Assekuranz. Die Umweltkatastrophe vor Mexiko ändert an der grundlegenden Logik von BP wenig. Auch eine Versicherung für die Umweltschäden könnte nur einen Teil der Kosten ausgleichen. Die BP-Bilanz wird auf jeden Fall mit Milliarden getroffen – und sie ist stark genug dafür.
Kein Wunder, dass sich die Versicherungseinkäufer großer Konzerne immer mehr für die finanzielle Stabilität der Versicherer interessieren, mit denen sie eine meist jahrzehntelange Partnerschaft eingehen, weil so lange Ansprüche und damit Versicherungsschäden eintreten können. Die Beinahepleite des einstigen Giganten AIG hat die Alarmglocken schrillen lassen. „Wir müssen einschätzen können, wie es um die Leistungsfähigkeit des Versicherers auch in Zukunft bestellt ist“, sagt Stefan Sigulla, Vorsitzender des DVS und Versicherungschef von Siemens.
Quelle: Financial Times Deutschland
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