Lebensversicherer zahlen ihren Kunden mehr, als sie selbst am Markt verdienen- helfen kann da nur die rasche Zinswende
VON Herbert Fromme
und Friederike Krieger
Wie lange geht das noch gut? Zwei, fünf oder sogar 18 Jahre, wie die Allianz stolz von sich behauptet? Die deutschen Lebensversicherer haben Millionen Kunden eine Zinsgarantie von durchschnittlich 3,4 Prozent auf Lebens- und Rentenpolicen gegeben. Aber wenn sie heute Geld neu anlegen, bekommen sie für deutsche Staatsanleihen gerade einmal zwei Prozent. Oder weniger.
Die niedrigen Zinsen sorgen für eine äußerst komplexe Lage. „Für das Modell der Lebensversicherung ist das Niedrigzinsumfeld eine Riesenbedrohung, vor allem für Gesellschaften, die ihren Kunden Zinsgarantien gegeben haben“, sagt Stefan Lippe, Chef des zweitgrößten Rückversicherers Swiss Re.
Wolfgang Weiler, Chef der HUK-Coburg, sieht einen direkten Zusammenhang zur Finanzkrise. „Wir zahlen seit 2008 für die Krise. Wahrscheinlich mehr als die Banken zur Rettung ihrer eigenen Branche“, sagt Weiler. „Dass Europa und andere Teile der Welt mit billigem Geld überschwemmt werden, dient nur den Gewinnmargen der Banken. Wir sind die, die das bezahlen“, wettert Weiler. Sein Fazit: Ohne die Probleme der Banken wären die Zinsen heute höher.
Das Horrorbild der Assekuranzmanager? Das Japan-Szenario: Sieben große japanische Lebensversicherer kollabierten in den 1990er-Jahren und Anfang dieses Jahrhunderts – eine direkte Folge der extremen Niedrigzinssituation.
Die Angst gründet auf einem Konstruktionsfehler der klassischen deutschen Lebensversicherung. Die Gesellschaften garantieren ihren Kunden bei Vertragsabschluss die Verzinsung des Sparanteils der Prämie, die für die gesamte Laufzeit des Vertrages gilt. Schließt ein 30-Jähriger eine Rentenversicherung ab, kann die Garantie 50 Jahre und länger laufen. Das kann aber kein Versicherer durch Kapitalanlagen abdecken. Er muss hoffen, dass er im Schnitt mindestens den Garantiezins verdient.
Zurzeit garantieren die Versicherer für neue Abschlüsse 2,25 Prozent – früher waren es meist drei bis vier Prozent. Der Durchschnitt im Bestand liegt daher bei rund 3,4 Prozent. Dazu schreiben die Gesellschaften, um wettbewerbsfähig zu bleiben, Kunden eine Überschussbeteiligung gut. Insgesamt liegt die Durchschnittsverzinsung 2010 immer noch bei erstaunlich hohen 4,2 Prozent. Die nötigen scharfen Schnitte traut sich keiner.
Allerdings werden die 4,2 Prozent nur auf den Sparanteil der Prämie gutgeschrieben, der etwa 80 Prozent der Prämienzahlung ausmacht. Der Rest geht für Provisionen, Verwaltungskosten und Risikoabdeckung drauf.
Freilich: Einige Faktoren mildern die Probleme ab. So haben die Versicherer mehr angelegt, als den Kunden zusteht. Zudem behalten sie das verzinste Geld lange in der Warteschleife. Da sie den Aufwand für ihre Vertriebs- und Verwaltungskosten, den Todesfall und andere Risiken mit hohen Sicherheitszuschlägen kalkuliert haben, fallen meist erhebliche Kosten- und Risikogewinne an. Auch die Finanzaufsicht könnte der gesamten Branche indirekt helfen, falls sie einmal gegebene Garantien aussetzt, um einen Versicherer vor dem Ruin zu retten. Einen weiteren Trost hält Maximilian Zimmerer bereit. „Lebensversicherer legen ihr Kapital im Schnitt über mehr als zehn Jahre an. Wenn sie ein Jahr etwas geringere Zinsen einfahren, ist das nicht gravierend“, sagt der Chef der Allianz Lebensversicherung.
Dennoch: Bleiben die Zinsen zwei, drei Jahre niedrig, drohen Turbulenzen. Delta Lloyd, Tochter der britischen Aviva, hat das Neugeschäft in Deutschland bereits eingestellt. „Momentan liegt das Risiko geringer Renditen fast ganz beim Versicherer, während die hohen Investmenterträge fast nur den Versicherten zugutekommen“, sagt ein Delta-Lloyd-Sprecher.
Die Branche legt traditionell konservativ an – vor allem, seit sie sich in der Aktienkrise 2001 bis 2003 die Finger verbrannt hat. Die neuen EU-Eigenkapitalregeln Solvency II werden ab 2013 ihr Übriges tun. Wer in Aktien investiert, muss 40 Prozent der Anlagen in Eigenkapital vorhalten, für Staatsanleihen dagegen höchstens vier Prozent.
Auch sonst ist die Aktie wenig attraktiv für die Branche. „Sie sollten langfristig mehr Ertrag als Festzinsanlagen erzielen, weisen in den letzten zehn Jahren aber eine negative Wertentwicklung auf“, sagt Zimmerer. Deutschlands Lebensversicherer kommen heute auf eine Aktienquote von nur drei Prozent.
Daher wird der Absatz fondsgebundener Policen forciert – da trägt der Kunde das Kapitalmarktrisiko. Doch im Bestand dominieren klassische Policen. „Bleiben die Zinsen dauerhaft niedrig, werden unsere Gewinnbeteiligungen früher oder später sinken“, sagt Zimmerer.
Das wäre noch das kleinere Übel – auch Pleiten oder Zwangsübernahmen sind nicht ausgeschlossen. Laut sagen will das aber niemand.
www.ftd.de/risiko
Alle Folgen im Überblick
Quelle: Financial Times Deutschland
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