Wie man mit Katastrophen rechnet

Tektonisch instabile Regionen sind bekannt. Das ermöglicht Rückversicherern,mit Hilfe spezieller Modelle zu simulieren, wie stark ein Erdbeben sie treffenwird. So können sie ihren Risikoappetit und die Preise bestimmen

Noch ist alles ruhig. Doch wenn es passiert, werden die Folgen verheerend sein, das weiß fast jeder Mensch in der westlichen Welt. Noch nie erlebt, doch für Millionen ein Horrorszenario: das Mega-Erdbeben in Kalifornien. Bei Stärke 8,3 würden unzählige Menschen sterben, mit gewaltigen 200 Mrd. Dollar würde die Versicherungswirtschaft den größten Schaden ihrer Geschichte erleiden.

Trauriger Rekordhalter bei Schäden ist bislang Hurrikan Katrina, der im Jahr 2005 die Stadt New Orleans überschwemmte und die Versicherer 71 Mrd. Dollar kostete. Wann mit einem Monster-Beben an der Westküste der Vereinigten Staaten zu rechnen ist, weiß niemand. Statistisch gesehen ereignet es sich einmal in 500 Jahren. Ob morgen oder in 300 Jahren, ist ungewiss.

Rückversicherer nehmen Erstversicherern einen Teil der Risiken ab, bei einer Katastrophe bündeln sich bei ihnen die Schäden. Nach Stürmen stehen Erbeben für die Giganten der Assekuranz ganz oben auf der Liste der gefürchteten Gefahren. „Dass Stürme mehr Schäden verursachen als Erdbeben, hat nichts mit dem Charakter der Naturkatastrophen zu tun“, sagt Jörg Steffensen. Er leitet den Bereich Naturereignisse beim Rückversicherer Hannover Rück. Tornados und Hurrikans sind nicht per se schlimmer als ein bebender Erdboden. Aber Stürme mit Zerstörungspotenzial kommen öfter vor und treffen häufiger Regionen, in denen mehr Menschen und Sachwerte versichert sind.

Doch auch Metropolen mit hoher Versicherungsdichte wie Istanbul, Jakarta, Tokio oder eben Los Angeles sind erdbebengefährdet. Engagieren Rückversicherer sich hier zu stark, kann das im Ernstfall ihre Leistungsfähigkeit übersteigen. Sie müssen deshalb über das eigene Risiko jederzeit im Bilde sein. Die meisten Erdbeben kommen nicht überraschend, nur den Zeitpunkt kennt niemand. Experten wissen, wo die Gefahr lauert. Sie erstellen Katastrophenmodelle und simulieren Szenarien. „Wir wissen jederzeit, wie viel Haftung wir wo an Bord haben“, sagt Steffensen.

Für Rückversicherer ist die geografische Risikoverteilung extrem wichtig. Deshalb übernimmt eine Gesellschaft immer nur einen Teil der Deckung eines Erstversicherers. „Wir bestimmen zweimal im Jahr unseren Risikoappetit“, sagt der Fachmann. Nachdem definiert ist, wie viel Kapital für Erdbebendeckungen zur Verfügung steht, legt das Unternehmen das maximale Limit fest, das die Underwriter zeichnen dürfen – und dessen Höhe ein gut gehütetes Geschäftsgeheimnis ist.

Die Katastrophenmodelle spielen für die Preisfindung eine Rolle. Bewegt sich lange nichts, ist das für den Rückversicherer auch nicht schön. Dann fallen die Preise.

Bei der Erdbeben-Rückversicherung handelt es sich in der Regel um nicht-proportionale Verträge. Das heißt: Der Erstversicherer trägt den Schaden bis zu einer gewissen Höhe selbst. Bei der proportionalen Rückversicherung übernehmen Munich Re, Swiss Re und andere immer einen festgelegten Teil jedes Schadens. „Ab wann in der nicht-proportionalen Deckung der Rückversicherer ins Spiel kommt, ist sehr unterschiedlich“, sagt Steffensen. Bei einem Beben in Kalifornien sind die Gesellschaften ab einem Schaden von rund 2,5 Mrd. Dollar mit von der Partie.

Für eine realistische Bestimmung des Risikos müssen die Modelle die Wirklichkeit abbilden. Weltmarktführer Munich Re sendet nach einem Beben deshalb Fachleute wie Michael Spranger an den Ort des Geschehens. Spranger war unter anderem in China, Indonesien und in Chile. „Wir suchen alle Orte auf, von denen wir glauben, etwas lernen zu können“, sagt er. In Haiti war er nicht, weil der Karibikstaat kein großer Versicherungsmarkt ist. Deshalb hat Munich Re für dieses Land kein Risikomodell.

Spranger und seine Kollegen haken bei ihren Exkursionen Punkt für Punkt ab, ob sich die Erwartungen über die Folgen des Bebens bewahrheitet haben. „Wir prüfen das Ausmaß der Erschütterung und der Schäden“, sagt er. Das Beben in China 2009 hatte einen kleineren Radius als gedacht, aber die Region war stärker getroffen als vermutet. In Chile im Frühjahr 2010 bestätigte sich das Risikomodell weitgehend. Das Beben war mit einer Stärke von 8,8 das weltweit fünftstärkste jemals gemessene. Der versicherte Schaden lag bei 8 Mrd. Dollar. Ein wichtiger Aspekt für das Ausmaß von Schäden sind Bauvorschriften. Abgesehen von Ausnahmen – vor allem bei jüngeren Gebäuden -, sind die Baustandards in Chile auf die Gefahren ausgerichtet. Viele Häuser halten seismischen Bewegungen stand. Durch die Katastrophe verloren 521 Menschen ihr Leben. Dass nicht viel mehr getötet wurden, ist auch und vor allem der Baukultur des Landes zu verdanken.

Der von Menschen verursachte Klimawandel führt zu mehr drastischen Wetterereignissen wie Stürmen und Überflutungen. Erste Stimmen werden laut, die auch einen Zusammenhang von Erdbeben und menschlichen Eingriffen sehen, etwa dass gewaltige Staudämme Verschiebungen in der Erde hervorrufen. Von solchen Theorien hält Spranger nicht viel. „So etwas hat zumindest keinen Einfluss auf das Entstehen eines großen Erdbebens“, ist er sicher.

Anja Krüger

Quelle: Financial Times Deutschland

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