Versicherer fürchten Rettungssystem für Autos

Neues Notrufprogramm soll Autohersteller bevorzugen // Werkstattrechnungen für die Assekuranz werden dann teurer

Friederike Krieger

und Herbert Fromme, Köln

Versicherer laufen Sturm gegen die von der EU-Kommission geplanten Notrufsysteme für Neuwagen in der bislang geplanten Form. Sie fürchten, dass die Autohersteller die neue Technik dazu nutzen werden, Unfallwagen gezielt in ihre Werkstätten zu lotsen. „Wir können den Schaden dann vielleicht nicht mehr managen und zahlen viel höhere Werkstattrechnungen“, monierte Klaus-Jürgen Heitmann, Vorstand der HUK-Coburg.

Die EU will Autohersteller und Mobilfunkanbieter zur Umsetzung eines elektronischen Sicherheitssystems namens E-Call (für Emergency Call, Notruf) bringen. In Neuwagen wird ein Gerät installiert, das bei einem schweren Unfall automatisch den Rettungsdienst alarmiert und wichtige Informationen wie die Koordinaten des Unfallorts weiterleitet. Zusätzlich baut es eine Sprachverbindung auf. Die EU schätzt, dass sich bei Einführung des Systems die Zahl der Unfalltoten europaweit jährlich um rund 2500 verringern lässt. Die Versicherer sind für E-Call, aber nicht wie bislang geplant. Sie fürchten, dass die von den Herstellern programmierbaren Servicefunktionen bei Pannen und kleinen Unfällen deren Werkstätten bevorzugen. Ursprünglich sollte E-Call schon bis 2009 in ganz Europa funktionieren, jetzt ist 2014 anvisiert. Die Kommission hat gedroht, gesetzgeberisch tätig zu werden, falls auf freiwilliger Basis nichts geschieht.

Hintergrund des Kraches ist ein erbitterter Kampf zwischen der Mehrheit der Assekuranz auf der einen Seite und den Autoherstellern sowie einigen mit ihnen verbündeten Versicherern auf der anderen. Die Hersteller wollen möglichst viele Unfallfahrzeuge in ihre Vertragswerkstätten lenken, damit sie besser ausgelastet sind. Das ist einer der Gründe für VW, mit der Allianz zu kooperieren und 1,2 Millionen Fahrzeuge über den VW Versicherungsdienst dort abzusichern. Marktführer HUK-Coburg dagegen hat zusammen mit anderen Versicherern ein eigenes Werkstattnetz aufgebaut, das zu niedrigeren Stundensätzen arbeitet. Die HUK gewährt ihren Kaskokunden 20 Prozent Beitragsnachlass, wenn sie ihre Autos im Schadensfall in einer Partnerwerkstatt reparieren lassen.

Wenn ein Kunde mit solch einem Tarif dem über E-Call informierten Autohersteller die Schadensregulierung überlässt, muss er einen Teil der Kosten selbst tragen, falls die Werkstatt des Herstellers nicht zum Netz des Versicherers gehört. „Tarife mit Werkstattbindung sind sehr weit verbreitet. Für den Versicherer ist also Ärger mit dem Kunden vorprogrammiert“, sagte Jens Bartenwerfer vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

„Wir wollen, dass es einen offenen Markt für die entgegennehmenden Stellen gibt“, forderte HUK-Vorstand Heitmann. „Wir wollen auch, dass Notruffunktionalitäten – auch die, die der Kunde manuell auslösen kann – routbar sind, zum Beispiel zu uns als Versicherer“, sagte er. Das müsse der Kunde entscheiden dürfen.

Die Allianz teilt diese Auffassung nicht. „Wir sehen diese Entwicklung als Chance für die Allianz, durch den Autohersteller frühzeitig über Unfälle und Pannen informiert zu werden, um die betroffenen Kunden schnellstmöglich mit unserem professionellen Schadensmanagement unterstützen zu können“, sagte ein Sprecher.

Die Bedenken der Versicherer sind inzwischen auch bei der EU-Kommission angekommen. „Natürlich sieht die Kommission auch die Sichtweisen der Autohersteller, der Werkstätten und der Versicherer“, sagt eine Sprecherin. Brüssel will sich mit allen Interessengruppen beraten.

Inzwischen beginnen die ersten deutschen Versicherer, Fakten zu schaffen. Ähnlich wie ihre italienischen Kollegen stellen sie E-Call-fähige Geräte zur Verfügung. Seit Mitte 2010 bieten die Öffentlichen Versicherungen Sachsen-Anhalt an, den Wagen für 9,90 Euro im Monat mit einem Notrufgerät auszustatten. Anfang März hat die Provinzial Düsseldorf nachgezogen.

Quelle: Financial Times Deutschland

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