Schifffahrtsunternehmen unterbieten sich bei den Frachtraten. Für dieIndustrie ist das aber keine gute Nachricht – sie wünscht sich mehr Kontinuität
Patrick Hagen
Eigentlich könnte sich Rüdiger Grigoleit freuen. Der Leiter der Logistik beim Chemie- und Pharmakonzern Merck darf mit geringeren Kosten für den Transport seiner Produkte rechnen. Nach einem deutlichen Anstieg im vergangenen Jahr sind die Preise, die Unternehmen den Reedern zahlen müssen, zuletzt wieder gesunken. Und es spricht viel dafür, dass sie weiter überschaubar bleiben. Aber Grigoleit betrachtet die Entwicklung mit Sorge. „Wir sind interessiert an Kontinuität und geringen Schwankungen bei Preisen und dem Service“, sagt er. Unternehmen wie Merck mussten in der Krise feststellen, dass die Reedereien bei stark sinkenden Frachtpreisen das Serviceniveau ebenfalls deutlich nach unten schrauben. Grigoleit ist Vorsitzender des Deutschen Seeverladerkomitees; dieses Gremium vertritt im Bundesverband der Deutschen Industrie die Interessen von Unternehmen, die Waren auf dem Seeweg transportieren.
Schneller als gedacht wurde die Schifffahrt wieder von ihren alten Problemen eingeholt. Dabei sah vor einigen Monaten noch alles rosig aus für die Branche. Nach der großen Flaute im Jahr 2009 legten Reedereien wie Maersk oder Hapag-Lloyd im vergangenen Jahr reihenweise Rekordergebnisse vor. Jetzt kämpfen sie wieder hart um die Ladung, um ihre Schiffe zu füllen. „In der Linienschifffahrt ist wieder eine Situation wie zu Anfang der Krise eingekehrt – es gibt ein Überangebot an Transportraum“, sagt Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL).
Schuld an dem Überangebot ist die große Zahl von neuen Schiffen, die in diesem Jahr von den Bauwerften geliefert wurden. Allein im April stellten sie die Rekordzahl von 32 Schiffen mit Stellplatz für zusammen 226 500 Standardcontainer (TEU) fertig, meldet der Branchendienst Alphaliner. Im Mai sind sogar 41 Schiffe zur Ablieferung vorgesehen. Viele der neuen Schiffe sind Giganten mit bis zu 14 000 TEU Kapazität. Das hat Folgen für den Markt: „Die Linien sind wieder zu einem Preiswettbewerb übergegangen, um diese Kapazitäten zu füllen“, sagt Lemper. Auch die stark gestiegenen Kosten für den Schiffsdiesel, den sogenannten Bunker, machen es den Reedern schwer, Geld zu verdienen. Außerdem haben die Unternehmen in der Krise bereits nahezu alle Sparmöglichkeiten ausgereizt. So lassen sie ihre Schiffe schon langsamer fahren. Das sogenannte Slow Steaming bindet mehr Schiffe und spart Treibstoff. Das schlägt sich in den Ergebnissen nieder. Die ersten Reedereien wie die chinesische CSCL oder die chilenische CSAV haben bereits rote Zahlen für das erste Quartal 2011 präsentiert.
Die Probleme der Linienbetreiber wirken sich auch auf die Charterreeder aus. Sie organisieren den Transport der Waren nicht selbst, sondern vermieten ihre Schiffe an Linienreeder, die regelmäßige Fahrpläne unterhalten. Bei den Charterreedern spielen deutsche Unternehmer eine wichtige Rolle. Sie kontrollieren die größte Containerschiffsflotte der Welt. Die Mietpreise oder Charterraten, die sie für ihre Schiffe bekommen, sind in den vergangenen Wochen ebenfalls unter Druck geraten. Lemper vom Forschungsinstitut ISL ist allerdings optimistisch im Hinblick auf die Schiffsvermieter. „Wir gehen davon aus, dass sich das Ratenniveau für die Charterreeder positiv entwickeln wird, vor allem für die kaum zunehmenden kleineren Schiffe“, sagt er. Das liege daran, dass die großen Schiffe nur noch wenige Häfen anlaufen können und dringend kleinere Schiffe benötigt werden, um die Waren von diesen weiterzutransportieren.
Außer der Marktlage bereitet den Reedern auch die Gefahr durch Piraten im Golf von Aden Sorgen. Die Reeder fordern, dass ihre Schiffe durch bewaffnete Hoheitskräfte begleitet werden. „Soldaten dürfen das allerdings nicht, weil Pirateriebekämpfung Polizeisache ist“, sagt Ralf Nagel, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Reeder. Die Polizei aber ist für einen solchen Einsatz nicht ausgerüstet. Die Reeder finden, dass die Politik ihrem Anliegen nicht genug Gehör schenkt. Viele von ihnen greifen mittlerweile zur Selbsthilfe und engagieren Söldner für die Passagen durch gefährdete Gewässer.
Quelle: Financial Times Deutschland
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