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Mit Zugeständnissen im Einzelfall versuchen Versicherer teureGrundsatzurteile abzuwenden. Juristen verlangen nun ein Einschreiten desBundesgerichtshofs

Anja Krüger

und Herbert Fromme, Köln

Hätte der Bundesgerichtshof (BGH) schon einmal darüber entscheiden dürfen, ob private Krankenversicherungen kurzsichtigen Patienten Augenlaseroperationen bezahlen müssen, er hätte zugestimmt. Der Patient, so die BGH-Richterin Sibylle Kessal-Wulf in der Fachzeitschrift „Recht und Schaden“, hat schließlich Anspruch auf eine Heilungschance, eine Brille aber heilt die Fehlsichtigkeit nicht.

Der BGH durfte aber noch nie darüber entscheiden. In den verhandelten Fällen sagten die Versicherer die Kostenübernahme immer in letzter Sekunde zu – als sich abzeichnete, dass sie den Prozess verlieren würden. Wäre ein Grundsatzurteil gefallen, könnten sich nämlich auch andere Patienten darauf berufen, und das würde dann erst richtig teuer werden.

Also ziehen die Versicherer die Notbremse, immer wieder. Kessal-Wulf spricht in ihrem Aufsatz von einem gezielten und systematischen Vorgehen – und namhafte Juristen fordern nun vom BGH, endlich dagegen einzuschreiten. Das oberste Gericht, sagt Hans-Peter Schwintowski, Rechtsprofessor aus Berlin, sollte seine Meinung zu komplexen Rechtsfällen künftig auch dann veröffentlichen, wenn die Revision zurückgezogen wurde und es kein Urteil gibt.

Im Versicherungsrecht, bei Banken und im Kartellrecht klagt eine Person oft stellvertretend für Hunderttausende. Ohne Grundsatzurteil, das auch die unteren Instanzen bindet, muss jeder Kläger seinen Fall einzeln durch die Instanzen treiben. Bei den Augenlaseroperationen ist es bislang so. Oder bei den Klagen gegen Zuschläge, die Versicherungen von ihren Kunden erheben, die ihre Prämien in Raten zahlen. Verbraucherschützer werfen der Assekuranz vor, bei monatlicher, viertel- oder halbjährlicher Zahlung von Versicherungsprämien – die eigentlich jährlich im Voraus fällig sind – Zuschläge zu verlangen, über deren Umfang die Kunden nicht ausreichend informiert werden. Würden die Versicherer diesen Streit vor dem höchsten Gericht verlieren, könnte sie das Milliarden kosten.

„Die Versicherer versuchen systematisch, Grundsatzurteile zu verhindern“, sagt Kerstin Becker-Eiselen, Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg. Mit einem Statement zu seiner Rechtsauffassung könnte der BGH Rechtsklarheit schaffen, sagt Juraprofessor Schwintowski. „So können sehr hohe Kosten vermieden werden, die entstehen, wenn weitere Betroffene klagen müssen.“

Die Branche bestreitet natürlich ein systematisches Vorgehen. „Das ist nur eine Behauptung“, sagt ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. Anwälte, die der Assekuranz nahestehen, verweisen darauf, dass das Rechtssystem den jederzeitigen Rückzug aus einem Prozess vorsieht. „Eine Revision zurückzunehmen ist das Recht der Versicherer“, sagt Theo Langheid, Anwalt in der Kölner Kanzlei Bach, Langheid & Dallmayr.

Er ist strikt dagegen, dass Bundesrichter ihre Rechtsauffassung auch ohne Urteil bekannt geben. „Damit werden verfassungsmäßige Prozessrechte negiert.“ Zudem würde eine Veröffentlichung das Beratungsgeheimnis verletzen. „Wir haben bestimmte Spielregeln“, sagt er. „Es ist gang und gäbe, dass man Konsequenzen zieht, wenn etwas absehbar ist.“ Die BGH-Richter würden sich zudem der Gefahr aussetzen, als befangen abgelehnt zu werden, wenn sie ihre Meinung kundtun und danach mit einem ähnlichen Fall konfrontiert würden. Auch könnte die Branche den Rechtsweg einfach einen Schritt früher beenden und sich so die Meinung der höchsten Richter ersparen.

Und in den unteren Instanzen verlieren Kunden und Verbraucherschützer oft, weiß Mark Wilhelm, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Düsseldorf. Er sieht dafür einen einfachen Grund. Da sich Richter unterer Instanzen im komplexen Versicherungsrecht oft nicht so auskennen, „orientieren sie sich an den wissenschaftlichen Veröffentlichungen“. Und die wissenschaftliche Literatur sei von den Versicherern geprägt. Die Fachbeiträge, so auch Verbraucherschützerin Becker-Eiselen, „stammen zum großen Teil aus großen Kanzleien, die für Versicherer tätig sind“.

Der BGH selbst will sich nicht zu der Forderung äußern, seine Rechtsmeinung auch ohne Urteil zu veröffentlichen. Zu aktuellen rechtspolitischen Diskussionen gebe er grundsätzlich keine Interviews, hieß es nur. Dass er sich das Recht dazu aber grundsätzlich nehmen kann, hat Richterin Kessal-Wulf mit ihrem Aufsatz faktisch bereits kundgetan.

Quelle: Financial Times Deutschland

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