Beim Aon Benfield Marktforum wurden die To dos bis zum Start von Solvency II abgesteckt
„Solvency II ist so ein bisschen wie ein Besuch beim Zahnarzt. Es muss sein, aber gerne geht man da nicht hin“, resümierte Herbert Fromme als Moderator der abschließenden Diskussionsrunde des diesjährigen Aon Benfield Marktforums, das sich mit der Frage befasste „Solvency II: Sturm im Wasserglas … oder Revolution in der Versicherungsaufsicht?“
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ein Sturm im Wasserglas ist es aus Sicht der Diskussionsteilnehmer sicher nicht, sondern eher „eine sehr gründlich geplante Revolution“, wie Ergo-Vorstandschef Torsten Oletzky angesichts der langen Planungs- und Umsetzungsdauer bilanzierte. Trotzdem gibt es offensichtlich immer noch zahlreiche offene Fragen, Ungereimtheiten und Mängel, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Branche dieses Thema nie besonders liebte, „so richtig sexy ist es nicht“, meinte Fromme.
Wie zerrissen sie in der Beurteilung ist, konnte man in den letzten Monaten auch in der Berichterstattung der Versicherungswirtschaft ablesen. „QIS 5 lässt die meisten Aufseher aufatmen“, hieß es in Heft 7, „QIS 5 bestärkt die Branche in ihrer Kritik an Solvency II“, war ein Beitrag in Heft 8 betitelt. Die letztere Meinung teilten auch die meisten Referenten des M Marktforums. „Mit QIS 5 wurde der Ton der Diskussion deutlich schriller“, stellte Oletzky fest, „die massive Diskussion haben wir mit QIS 5 bekommen.“
Standardmodell oder nicht?
Ein Schwerpunkt der Referate und der Diskussion war die Frage, inwieweit das Standardmodell tauglich ist oder ob sich der millionenteure Aufwand für die Entwicklung eines eigenen unternehmensindividuellen Modells oder Teilmodells lohnt. Für die Rückversicherer ist die Situation aus Sicht von Ulrich Wallin, Vorsitzender des Vorstands der Hannover Rückversicherung, klar: Die Rückversicherung ist in der Standardformel nicht vollständig abbildbar, da sie typische Rückversicherungsmuster und ihren wirtschaftlichen Effekt nur begrenzt darstellt. So gibt es im Bereich Leben keine Diversifikation zwischen Produkten und Ländern, biometrische und Storno-Schocks müssen auf alle Verträge gleichzeitig angewendet werden. Im Nicht-Leben-Bereich wird innerhalb von Europa nur zwischen den vier Himmelsrichtungen unterschieden – Frankreich und Deutschland werden dabei trotz der erheblichen Unterschiede als ein Markt behandelt.
Bei der nichtproportionalen Rückversicherung gibt es nur eine eingeschränkte Segmentierung, die keine angemessene Risikoeinschätzung erlaubt. Auch bei den Naturkatastrophen ist die Risikobeurteilung nach dem Standardmodell ungenau, hier wird nicht zwischen Privat- und Industrierisiken unterschieden. Wallin nimmt deshalb an, dass von den Rückversicherern interne Modelle geradezu erwartet werden und das Standardmodell bewusst so konstruiert wurde, dass sie gezwungen sind, unternehmensindividuelle Ansätze zu entwickeln. Dazu würde passen, dass es beim Schweizer Solvenztest kein Standardmodell für Rückversicherer gibt. Die Hannover Rück werde deshalb die Genehmigung ihres internen Kapitalmodells beantragen.
Einig waren sich die Referenten darin, dass die Kosten durch hohe Dokumentationsanforderungen steigen werden. „Überbordende Dokumentationsanforderungen und starre Anforderungen an die Organisationsstruktur erhöhen die Compliance-Kosten“, meinte Wallin. Er kritisierte den Anspruch der Aufsicht, die Unternehmenssteuerung auch dann zu beeinflussen, wenn das Unternehmen keine Solvenzprobleme hat. Die Berichtsanforderungen seien unangemessen hoch und der Nutzen des enormen Datentransfers für den Zweck der Versicherungsaufsicht sei nicht genügend transparent. Allerdings könnten sich durch Solvency II auch neue Zielgruppen für die Rückversicherer erschließen, denn nach QIS 5 weisen 15 Prozent der deutschen Versicherer eine Solvenzbedeckungsquote (SCR) unter 100 Prozent auf, unter der kritischen Grenze von 120 Prozent würden rund 23 Prozent liegen.
Die Hannover Rück geht nach Wallin davon aus, dass die Produkte, welche die SCR einer Versicherungsgesellschaft verringern, zukünftig an Bedeutung gewinnen werden und dass vermehrt Multi-Line- und Multi-Year-Deckungen mit einer höheren Absicherung beziehungsweise längeren Haftungsstrecke nachgefragt werden.
Auch Johannnes Hajek, Vorstandsvorsitzender der Uniqa Sachversicherung, erwartet, dass Solvency II dazu führen wird, dass die Versicherer ihren Kapitaleinsatz neu überdenken und passende neue Produkte entwickeln, die unter diesem Aspekt eine bessere Relation von Risiko und Ertrag haben. Zusatzangebote, wie SafeLine der Uniqa, eine GPS-Box, die unsichtbar im Fahrzeug eingebaut wird und im Notfall oder bei einem Diebstahl eine Notfallmeldung abgibt oder bei der Wiederauffindung eines gestohlenen Fahrzeugs hilft, werden an Bedeutung gewinnen.
Augenmaß statt Automatismus
Die deutschen Versicherer aller Sparten befinden sich jetzt ebenfalls im Endspurt und müssen noch zahlreiche Aufgaben lösen, wie Oletzky aufzeigte. Neben dem steigenden Eigenmittelbedarf und den umfangreicheren Berichtsanforderungen sind das die wachsende Bedeutung des Risikomanagements und die zunehmende Volatilität mit der Abhängigkeit von den Kapitalmarktparametern zum jeweiligen Stichtag.
Jede Sparte habe dabei ihre spezifischen Schwachpunkte. So gebe es bei Leben Probleme mit den besonders zinssensitiven langfristigen Garantien sowie dem Zielkonflikt im Standardmodell zwischen der angemessenen Abbildung des Geschäftsmodells und der Begrenzung der Komplexität. Bei Schaden und Unfall sei die Kalibrierung der Katastrophenrisiken überarbeitungsbedürftig, des Prämien- und Reserverisikos überzeichnet.
Um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, muss Solvency II zeitgleich europaweit in der gesamten Branche umgesetzt werden, forderte Oletzky. Nur so könne der Wettbewerb gefördert und das Ziel eines effizienteren Kapitaleinsatzes erreicht werden.
Eine Marktbereinigung durch Solvency II erwartet er ebenso wenig wie die anderen Teilnehmer an der abschließenden Diskussionsrunde, wenn es dazu käme, läge dies nicht an Solvency II. Allerdings, auch darüber bestand Einigkeit, dürfe die Einführung von Solvency II zum 1. Januar 2013 nicht zu einem Automatismus führen – die Aufsichtsbehörde müsse mit Augenmaß prüfen und Übergangsfristen einräumen, bevor sie Sanktionen verhängt.
sgk
Dokument VVW0000020110711e7710000x
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo