Politik und große Konzerne spielen Abschaffung der Kranken-Vollversicherungdurch // Angst vor jahrelanger Abwicklung
Herbert Fromme , Köln
Die private Krankenversicherung in Deutschland steht vor tief greifenden Umbrüchen. Große Versicherungskonzerne wie Allianz, Munich Re und Generali bereiten sich nach FTD-Informationen auf einen Ausstieg aus der Kranken-Vollversicherung vor. Sie arbeiten an konkreten Modellen, wie sie ihre privaten Krankenversicherer (PKV) auch ohne die Absicherung aller wesentlichen Gesundheitsrisiken betreiben können. Dann würden die jeweiligen Konzerntöchter Allianz Private Kranken, DKV und Central nur noch die lukrative Zusatzversicherung anbieten – für Kunden, die für die schweren Krankheiten bei gesetzlichen Krankenkassen versichert sind. Die Kasse würde dann zum Beispiel die Krebsbehandlung zahlen, der Privatversicherer den Zahnersatz und das Einzelzimmer im Krankenhaus.
Damit kommt das deutsche PKV-Modell weiter unter Druck. Unter Politikern hat das duale System, also die Koexistenz von gesetzlicher und privater Vollversicherung, kaum noch Freunde. Gesundheitspolitiker beklagen einen Trend zur Zwei-Klassen-Medizin mit zumindest gefühlt längeren Wartezeiten und schlechteren Leistungen für gesetzlich Versicherte. Neun Millionen Deutsche sind privat versichert, 72 Millionen bei gesetzlichen Kassen. Private Kranken-Vollversicherungen gibt es in dieser Form nur in Deutschland. Im übrigen Europa sind überwiegend gesetzliche Grundsicherungssysteme mit privaten Zusatzversicherungen üblich.
Auch in den Topetagen der großen Versicherungskonzerne ist die private Vollversicherung unbeliebt – sie gilt als ertragsschwach, macht aber viel Ärger. „Das Hauptproblem ist der enge politische Rahmen“, sagt ein hochrangiger Allianz-Manager. „Das politisch eingeführte Wechselrecht für Kunden zwischen den Tarifen einer Gesellschaft macht das Geschäft schwierig.“ Der Allianzer will sich nicht mit Namen zitieren lassen – wie immer, wenn Manager Zweifel an der Zukunft der PKV äußern.
Denn die Frage ist stark aufgeladen. Die international aktiven Konzerne haben die Lust an der Vollversicherung schon seit Jahren verloren. Sie würden das aber nie zugeben, weil sie im eigenen Lager als Verräter dastünden. Denn mittelgroße Versicherer kämpfen mit allen Mitteln um den Erhalt des jetzigen dualen Systems. Anbieter wie Barmenia, Inter oder Hanse-Merkur hängen von der Vollversicherung ab, eine Abschaffung hätte für sie katastrophale Folgen. Auch in den großen Konzernen gäbe es ein Beben, wenn sich ein Vorstand zur Abschaffung der PKV-Vollversicherung bekennen würde: Tausende von Arbeitsplätzen wären gefährdet.
Die Generali hat bereits die Reißleine gezogen. Der Konzern löst 2012 den eigenständigen Vertrieb des Krankenversicherers Central auf, die 600 Vertreter erhalten das Angebot, zur Vertriebsorganisation DVAG zu wechseln. „Ohne Neukunden zur Vollversicherung kann ein eigener Außendienst wirtschaftlich nicht überleben“, heißt es bei der Generali.
Auch Munich Re spielt die Abschaffung der Vollversicherung durch – auch wenn der Anbieter das vollmundig dementiert: „Wir sind für die private Versicherung für alle“, sagt ein Sprecher. Der Konzern weiß, dass dies Wunschdenken ist. Die Hauptsorge der Bosse: Wenn die Politik die enge Regulierung noch fester zurrt oder eine künftige Regierung gleich welcher Farbe den Zugang zur privaten Vollversicherung weiter erschwert, bleiben Millionen von langsam älter werdenden Privatversicherten zurück.
Zwar sollten alle PKV-Tarife theoretisch so kalkuliert sein, dass sie sich selbst tragen. Aus den Beiträgen der Kunden bauen die Anbieter Alterungsrückstellungen auf, damit im Alter die zu zahlenden Prämien nicht ins Unermessliche steigen. Doch wissen die Manager, dass diese Alterungsrückstellungen allein kaum reichen: Ohne Neukunden würde es schnell teuer für die verbleibenden Kunden.
Schlimmer noch: Die Konzerne müssten für eine immer kleiner werdende Gruppe von Vollversicherten teure Stäbe vorhalten, von Mathematikern für die Preisanpassungen bis zu Experten für die Prüfung von Arzt- und Krankenhausabrechnungen.
In der Munich Re werden daher Ausstiegsmodelle diskutiert. Eines davon: Wenn die Bürgerversicherung kommt, müssten die Kunden aus der Vollversicherung in gesetzliche Krankenkassen wechseln dürfen, was heute kaum möglich ist. Dann, so das Denkmodell aus München, müsse man sich eine Kasse als Partner suchen und Vollversicherte dorthin leiten – um sie in der Zusatzversicherung zu halten. Als Anreiz könne man jedem Kunden, der geht, die Alterungsrückstellung ganz oder teilweise bar auszahlen. Das können leicht 10 000 Euro sein.
Quelle: Financial Times Deutschland
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