Versicherer büßen für lückenhafte Gefahrenanalyse

Die Flut in Thailand beschert der Assekuranz hohe Verluste. Unternehmen ziehen Konsequenzen und fordern Kunden mehr Informationen ab

Die Krokodile machen alles nur noch schlimmer. Die Wassermassen haben sie aus ihren Aufzuchtstationen geschwemmt, jetzt machen sie das überflutete Gebiet um Bangkok und die Touristenstadt Ayutthaya unsicher. Das belastet nicht nur die Bevölkerung. Auch den Schadenregulierern der Versicherer machen die Reptilien zu schaffen. „Das Wasser läuft langsam ab, aber es ist vielerorts noch immer unmöglich, die Betriebe zu besichtigen“, sagt Andreas Shell, Schadenchef bei der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), dem Industrieversicherer des Branchenriesen Allianz. Die Regulierer fürchten, plötzlich einem Krokodil zu begegnen.

Seit Monaten stehen breite Landstriche Thailands unter Wasser. Der Rückversicherer Swiss Re geht derzeit von einem versicherten Gesamtschaden von 8 bis 11 Mrd. Dollar aus. Die Allianz will noch keine genauen Zahlen nennen, schätzt aber, dass die Schäden für die Branche verheerend sein werden. „Es ist zu früh für genaue Schätzungen, aber die Schäden der Flut sind dramatisch“, sagt Manuel Bauer, Mitglied im Vorstand der Allianz SE und verantwortlich für die Wachstumsmärkte Asien und Osteuropa. „Viele Anbieter haben angesichts fehlender Erfahrungen nicht genügend Rückversicherungsschutz eingekauft und könnten bald ein Problem haben.“ Rückversicherer sichern Erstversicherer gegen besonders hohe oder viele Schäden ab.

Betroffen von den schlimmen Überschwemmungen sind vor allem japanische Versicherer sowie global agierende Industrie- und Rückversicherer. Nach dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 haben viele japanische Industriekonzerne ihre Produktion nach Thailand ausgelagert. 450 japanische Firmen haben Anlagen in den Industrieparks, die überflutet sind.

Fatal: Die Parks sind mit Flutmauern und -wällen geschützt, aber das Wasser hat sie überflutet. „Das hat den Effekt, dass das Wasser jetzt innerhalb der Wälle steht und nur sehr langsam abfließt“, sagt Shell. Entsprechend schwer ist es für die Versicherer, Schäden überhaupt zu sichten.

Nicht nur die Fertigungsindustrie, auch die Lebensmittelbranche leidet unter den Folgen der Naturkatastrophe. „Durch das Wasser fällt die elektronische Versorgung aus und dadurch dann die Klimaanlagen, das ist gerade bei verderblichen Waren ein Problem“, sagt Shell. „Auch die hohe Luftfeuchtigkeit setzt den Klimaanlagen zu.“

Die hohen Sachschäden, die auf die Versicherer zukommen dürften, sind nur ein Problem. Die Gesellschaften müssen auch damit rechnen, dass die Unterbrechung der Lieferketten ihre Bücher belasten wird. Durch die Überschwemmungen können Firmen nicht mehr oder nur eingeschränkt produzieren. Die Folge: Autohersteller warten auf Teile, der Computerindustrie fehlen Festplatten, die in der Region gefertigt werden. Der amerikanische Hersteller Western Digital musste seine Fabriken in Thailand schließen. Innerhalb weniger Tage haben sich Großhandelspreise teilweise verdreifacht.

Ist ein Unternehmen davon abhängig, dass Einzelteile pünktlich ankommen, können die ausbleibenden Warensendungen Millionenschäden verursachen. Solche Störungen, die durch Hochwasser oder Brände verursacht werden, sichert die Assekuranz mit sogenannten Betriebsunterbrechungsdeckungen ab. Firmen außerhalb Thailands können dann Schäden anmelden, wenn Teile fehlen und deshalb die Produktion in anderen Ländern unterbrochen werden muss. Vor allem internationale Kunden werden solche Ansprüche geltend machen, erwartet Shell.

Bei der AGCS liegen bislang etwa 200 Schadensmeldungen vor, und zwar von Firmen aus der Schweiz, Frankreich und den USA. Deutsche Unternehmen haben sich bisher zurückgehalten, beobachtet Stefan Mußmann, Experte für Lieferkettenrisiken beim Makler Aon. „Bei uns sind wenige Schadensmeldungen eingegangen“, sagt er.

Ein Grund dafür könnte sein, dass Firmen erst einmal prüfen, ob ihre Lieferketten gegen die thailändischen Fluten überhaupt versichert sind. Denn Schäden bei Zulieferern durch Hochwasser oder Erdbeben, die das Unternehmen nur indirekt betreffen, sind bei den Deckungen nur dann mitversichert, wenn die Firma eine entsprechende Rückwirkungsschäden-Klausel im Vertrag hat. „Ein Unternehmen auf der schwäbischen Alb hat sich bei Vertragsabschluss vielleicht gedacht, keine Absicherung gegen Hochwasser zu brauchen und deshalb diese Flutschäden nicht als versicherte Gefahr in den Vertrag aufgenommen“, sagt Mußmann. Die böse Überraschung kommt, wenn Kunden erfahren, dass dieser Ausschluss weltweit gilt, also auch für Zulieferer in Thailand.

Die Zurückhaltung der Firmen kann aber auch einen anderen Grund haben. „Viele Unternehmen sichern ihre Lieferketten mehrfach ab, sei es durch mehrere Lieferanten, erhöhte Lagerbestände oder verschiedene Produktionsstätten“, sagt AGCS-Mann Shell. „Bevor sie einen Schaden an den Versicherer melden, prüfen sie erst alle Alternativen. Erst wenn das nicht klappt, beanspruchen sie ihre Betriebsunterbrechungsversicherung.“

Auch wenn die Versicherer noch keine genauen Zahlen kennen – Konsequenzen aus der Überflutung werden sie ziehen. Die Munich Re hat angekündigt, künftig genauer Bescheid wissen zu wollen über die Zulieferketten ihrer Industriekunden. Der Konzern will in eineinhalb Jahren keine Risiken aus der indirekten Betriebsunterbrechung mehr decken, wenn Firmen ihre Zulieferketten nicht offenlegen. „Für uns ist es zwingend, innerhalb von maximal 18 Monaten unsere Risiken genau quantifizieren zu können“, sagt Vorstand Torsten Jeworrek. AGCS-Mann Shell sieht das kritisch. „Viele Unternehmen haben hunderte oder gar tausende Zulieferer. Über jeden einzelnen ausführlich Buch zu führen, das ist für beide Seiten sportlich.“

Die Allianz setzt auf andere Methoden – und gibt sich einsichtig. „Aufgrund fehlender Erfahrungen haben wir in den vergangenen Jahren unterschätzt, welche Ausmaße eine solche Hochwasserkatastrophe annehmen kann“, sagt Vorstand Bauer. Mit Flutschäden in diesem Ausmaß haben die Versicherer nicht gerechnet. „Wir werden uns die Risiken künftig genauer anschauen müssen und etwa Werksbesichtigungen unter diesem Gesichtspunkt einführen.“ Prämienanpassungen und höhere Selbstbehalte seien ein weiteres Mittel, um für künftige Fluten besser gewappnet zu sein.

Anne-Christin Gröger

Quelle: Financial Times Deutschland

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