Kabinett senkt Ansprüche der Kunden an Bewertungsreserven der Unternehmen //Reaktion auf niedriges Zinsniveau
Herbert Fromme , Köln
Die Bundesregierung will auf Druck der Assekuranz die Ansprüche von Kunden an die Lebensversicherer beschneiden. Ihnen soll künftig ein geringerer Teil an den Bewertungsreserven zustehen. Das geht aus dem Entwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes hervor, den das Kabinett in der Vorwoche verabschiedet hat. Die neuen Regeln sollen am 31. Oktober 2012 in Kraft treten.
Die Lebensversicherer leiden derzeit unter den niedrigen Zinsen von weniger als drei Prozent für viele Staatsanleihen, während sie Millionen Verträge mit garantierten Zinsen bis zu vier Prozent bedienen müssen. Das könnte bald zu Kapitalbedarf der Gesellschaften führen. Dem wirkt die Neuregelung entgegen. Sie reduziert das Risiko der Lebensversicherer aus den hohen Zinsgarantien.
Der Hauptzweck des Gesetzentwurfs ist die Umsetzung des EU-Aufsichtssystems Solvency II. Aber versteckt in Paragraf 130 erfüllt die Koalition eine lautstark geäußerte Forderung der Lebensversicherer. Sie wollen eine Änderung der seit vier Jahren geltenden Beteiligung der Kunden an Bewertungsreserven – auch stille Reserven genannt. Das hatte Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), zuletzt im November 2011 bei der Mitgliederversammlung des Verbands vehement eingefordert.
Zurzeit gelte „eine ziemlich verunglückte gesetzliche Regelung zur Beteiligung der Kunden an unseren Bewertungsreserven“, hatte Hoenen seinerzeit in Anwesenheit von Finanzminister Wolfgang Schäuble gesagt. „Die zwingt uns, in schwierigen Zeiten die Wertpapiere mit der vergleichsweise hohen Verzinsung zu verkaufen und damit Reserven abzubauen.“ Das könne nicht gewollt sein.
Der jetzt vom Kabinett beschlossene Plan: Wenn Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren in einer Niedrigzinsphase entstehen, dürfen die Versicherer künftig einen „Sicherungsbedarf“ von den Reserven abziehen. Nur vom Rest – falls einer übrig bleibt – müssen sie 50 Prozent an Kunden bei deren Ausscheiden oder bei Vertragsende zahlen.
Bewertungsreserven auf Aktien und Immobilien sind davon nicht betroffen. Die Neuregelung kostet Versicherte deutlich mehr als 1 Mrd. Euro im Jahr, schätzen Experten. Die Assekuranz zahlte im Vorjahr 81 Mrd. Euro an Kunden aus.
Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert eines Wertpapiers über dem Anschaffungspreis liegt. Mindestens 80 Prozent der Kapitalanlagen von mehr als 750 Mrd. Euro halten die Lebensversicherer in festverzinslichen Papieren.
Hier sorgen die aktuell niedrigen Zinsen für das Problem: Die Versicherer besitzen viele Anleihen, die sie vor fünf oder acht Jahren bei höheren Zinsen gekauft haben. Ihr Marktwert liegt heute meist deutlich über dem Anschaffungspreis – die Differenz macht die Bewertungsreserven aus. Die Versicherer argumentieren, dass sie diese Papiere meistens bis zur Fälligkeit halten, bis dahin lösen sich die Bewertungsreserven ohnehin auf. Müssten sie jetzt verkaufen, fehlten später die Erträge.
Verbraucherschützer sind gegen die Änderung: „Wir brauchen endlich Transparenz bei der Beteiligung an den Bewertungsreserven“, sagte Axel Kleinlein, Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten. „Schon bislang ist das eine Blackbox, niemand weiß, wie die Versicherer das genau berechnen.“ Das werde jetzt noch schlimmer.
Quelle: Financial Times Deutschland
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