Die EU will noch einmal die Auswirkungen testen. Die Assekuranz stützt denAufschub – trotz quälender Hängepartie
Mark Schrörs Herbert Fromme
Mark Schrörs, Brüssel,
und Herbert Fromme, Köln
Solvency II, das neue EU-Aufsichtssystem für Versicherer, kommt sehr wahrscheinlich ein Jahr später. Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat einen erneuten Aufschub vorgeschlagen. Jetzt soll das System am 30. Juni 2014 implementiert werden – dann läuft eine Übergangsfrist. Scharf geschaltet wird es am 1. Januar 2015. Bislang waren der 30. Juni 2013 und der 1. Januar 2014 für die Scharfschaltung vorgesehen. Auch das war schon das Ergebnis von Verzögerungen.
Mit den neuen Regeln will Brüssel die Versicherungsaufsicht EU-weit vereinheitlichen und die Versicherer zu einer risikoorientierteren Kapitalunterlegung zwingen. Bislang galten für das erforderliche Kapital schematische, grobe Formeln. Künftig soll ein Unternehmen genau nach dem jeweiligen Risiko bei Versicherungen und Kapitalanlagen Eigenmittel vorhalten. Wer Autos und Wohngebäude absichert, braucht weniger Kapital als eine Gesellschaft, die Pharmarisiken deckt; Investitionen in Aktien und Risikokapital verlangen mehr Eigenkapital als die in Staatsanleihen.
Zwar bringt die angedachte Verzögerung eine weitere Phase der Unsicherheit für die Branche. Doch unterstützen die meisten Versicherer den neuen Zeitplan. Axel Wehling, Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, begrüßte die Entscheidung, erst noch Tests durchzuführen. Auch Allianz und Talanx sind für die Verschiebung, Munich Re will die Entwicklung der nächsten Tage abwarten.
Werner Görg, Chef der Gothaer Versicherung und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Versicherungsvereine, sieht Unsicherheiten. „Noch ist nicht entschieden, ob verschoben wird“, sagte er. „Sollte sie kommen, finde ich die Verschiebung richtig, wenn sie denn von allen Seiten gut genutzt wird, um die marktorientierte Unternehmensführung der Versicherer zu fördern.“
Allerdings wissen die Manager auch, dass weitere Verzögerungen unangenehme Auswirkungen haben könnten. „Wenn wir nicht bald die neuen Regeln haben, kann das zu Verlust von Geschäft gerade im internationalen Rahmen führen“, sagte ein Manager. Dann könnte sich ein internationales Gremium bemüßigt fühlen, seinerseits neue Regeln global zu implementieren.
Das aktuelle Problem: Nach dem alten Zeitplan würde die Einführung im Blindflug laufen. Denn die EU hat die aktuelle Version von Solvency II noch nicht praktisch getestet – einschließlich der weitreichenden Kompromisse und Deals in den Verhandlungen innerhalb des Europaparlaments sowie zwischen Parlament, Kommission und den EU-Regierungen.
Jetzt soll die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa in Frankfurt bis März 2013 eine Auswirkungsstudie in allen EU-Ländern durchführen.
Schwierigkeiten bereiten die langfristigen Garantien, die Lebens- und Krankenversicherer ihren Kunden geben. Mit der Veränderung der Zinsen schwankt die dafür nötige Kapitalunterlegung unter Solvency II gewaltig. Eine Gesellschaft kann heute ausgezeichnet kapitalisiert und wenige Tage später fast pleite sein, wenn sich in der Zwischenzeit der Zins ändert.
Eiopa hat in der Entwicklungsphase von Solvency II bereits fünf Auswirkungsstudien durchgeführt. Dabei befüllen die Versicherer die Solvency-II-Modelle mit ihren aktuellen Daten und berechnen die Ergebnisse.
Burkhard Balz, CDU-Abgeordneter im Europaparlament und Berichterstatter zu Solvency II, zeigte sich zufrieden. „Ich begrüße die Meinungsänderung aufseiten der Kommission, den Zeitplan nun zu revidieren.“
Quelle: Financial Times Deutschland
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