Niedrige Zinsen und schärfere Aufsichtsregeln machen der Versicherungsbranchezu schaffen. Verschleppte Probleme drängen nach vorn
Herbert Fromme
Herbert Fromme
Die deutschen Versicherer stehen vor einer schwierigen Berichtssaison. Sie müssen Anlegern und Kunden Anfang 2013 erklären, was 2012 in ihrem Geschäft los war – und darauf gibt es keine einfache Antwort.
Die Konzerne erleben die Krisenfolgen, vor allem in der Lebensversicherung, wo sie von niedrigen Zinsen unter Druck gesetzt werden. Der nach holprigem Start erfolgreiche Börsengang des Versicherers Talanx kontrastiert mit der generellen Zurückhaltung von Anlegern bei Versicherungstiteln. Die großen Gesellschaften wie Allianz und Munich Re werden unter Buchwert gehandelt. Reputationsprobleme wegen Skandalen vom Typ Sexreise nach Budapest und wegen hoher Provisionen schmerzen die Manager. Auch das neue EU-Aufsichtsrecht Solvency II macht das Leben nicht leichter. Zwar ist die Einführung gerade wieder einmal verschoben worden, jetzt sollen die Vorschriften erst 2015 scharf geschaltet werden. Dennoch haben Versicherungsmanager das Gefühl, zwischen Niedrigzinsen auf der einen Seite und Solvency II auf der anderen wie in einem Schraubstock eingeklemmt zu sein.
Einen Schuldigen für die unbequeme Lage hat die Branche auch schon gefunden: die Politik. Kunden der Lebensversicherer müssten sich auf Dauer auf niedrigere Renditen einstellen, sagt Allianz-Konzernchef Michael Diekmann. Mit den niedrigen Zinsen entledigten sich Deutschland und andere Staaten ihrer Schulden. „Die Zeche zahlt der Sparer“, so Diekmann. „Jeder ist betroffen von diesem Niedrigzins.“
Tatsächlich: Die meisten Lebensgesellschaften verdienen für Neuanlagen zwischen 2,6 und 3,1 Prozent, hat die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) errechnet. Zumindest ein Teil liegt damit unter den Garantien, die die Versicherer den Kunden gegeben haben und die im Schnitt etwa 3,2 Prozent betragen.
Noch erwirtschaften die meisten Gesellschaften mit ihren Anlagen einen Ertrag von um die vier Prozent, weil sie viele ältere und damit höher verzinste Papiere im Bestand haben. Und beruhigend argumentieren viele Manager, dass die Branche ja noch andere Gewinnquellen hat. Dazu gehören Erträge aus der Übernahme von Sterblichkeits- und Berufsunfähigkeitsrisiken. Solche Tarife sind vorsichtig mit vielen Puffern kalkuliert, die mit dem Ablauf zu Gewinnen werden. Auch bei den Kosten kalkulieren die Unternehmen eher großzügig. Fallen die realen Kosten dann niedriger aus, gibt es einen Gewinn.
Folgen der NiedrigzinsenDoch das gleicht die Probleme nicht aus, die das Niedrigzinsumfeld verursacht. Für Zinsgarantien bis zu vier Prozent gegenüber Kunden, die für die gesamte Laufzeit eines Vertrags gelten, müssen die Gesellschaften eine besondere Rückstellung bilden. Das ist die Zinszusatzreserve. Diesen Mechanismus hat das Finanzministerium 2010 festgelegt – auf Vorschlag der Versicherer, die damals offenbar mit einem rascheren Ende der Zinsverwerfungen gerechnet hatten.
2011 betrug die Zinszusatzreserve branchenweit 1,5 Mrd. Euro, hat die Kölner Ratingagentur Assekurata berechnet. Für 2012 erwartet ihr Geschäftsführer Reiner Will die stolze Summe von 4,5 Mrd. Euro. Im kommenden Jahr dürfte die Zinszusatzreserve noch weiter ansteigen. Solche Belastungen steckt kaum ein Versicherer einfach weg. Viele Unternehmen müssen Papiere verkaufen, um Kasse zu machen. „Gewinnrealisierungen sind in großem Maße notwendig, um die Zinszusatzreserve zu stemmen“, sagt S&P-Analyst Christian Badorff.
Die Folge werden mit hoher Wahrscheinlichkeit niedrigere Überschussbeteiligungen sein, die die Lebensversicherer ihren Kunden für 2013 gutschreiben. Das macht es den Vermittlern noch schwerer, die Lebensversicherung zu verkaufen. Der Vertrieb im ersten Halbjahr lief ohnehin schwach. In der zweiten Jahreshälfte profitieren die Gesellschaften von einem Sonderfaktor: Ab 21. Dezember 2012 dürfen sie nur noch Unisex-Tarife anbieten, die Männer und Frauen bei Preisen und Bedingungen gleich behandeln. Je nach Sparte wird es für Kunden oder Kundinnen teurer.
So mancher Assekuranz-Manager macht es sich sehr einfach. Schuld an den Problemen der Branche sind immer die Rahmenbedingungen – weil die Zinsen niedrig sind oder weil Solvency II so sperrig ist. Doch so simpel ist das nicht. In Wirklichkeit bringt die Krise Probleme der Assekuranz ans Tageslicht, die ihre führenden Köpfe bislang oft verdrängt haben. So ist den meisten Konzernlenkern seit Langem klar, dass die deutsche Lebensversicherung – im Kern ein Zinsarbitragegeschäft mit sehr langer Laufzeit – nicht für Zeiten anhaltender Niedrigzinsen gemacht ist. Aber an echten Alternativen mangelt es bislang.
Vor allem bei Vertriebs- und Kooperationsformen fehlt vielen Gesellschaften die Zukunftsperspektive. Sie halten an ihren Außendiensten aus Vertretern als Hauptvertriebsform fest. Die verdienen in erster Linie am Verkauf der provisionsstarken Lebens- und privaten Rentenversicherungen. Bei anderen Policen entwickeln sich neue Konkurrenten, mit denen die Vertreter nicht mithalten können: VW hat – zusammen mit der Allianz – einen eigenen Autoversicherer gegründet, der über Autohäuser verkauft. Die Internet-Vergleichsportale wie Check24 oder Transparo werden 2012 rund eine Million Autopolicen vertreiben, auf Kosten traditioneller Vertriebswege.
Gravierende Konsequenzen für den Vertrieb werden die neuen EU-Regeln haben. Brüssel und Berlin wollen die bisher übliche Provisionsvermittlung reduzieren und mehr Honorarberatung durchsetzen. Dafür sind die meisten Unternehmen nicht gerüstet.
Höhere PreiseDoch die Branche sieht auch positive Trends. Denn während sie in der Lebensversicherung leiden, haben die Konzerne in der Schaden- und Unfallversicherung die stärksten Preisanhebungen seit 2003 erlebt. Hier versichern sie Autos, Gebäude, Unfall- und Haftpflichtrisiken. Während die Branche in Sparten wie Unfall oder Hausrat seit Jahren gut verdient, sorgten die Gebäude- und die Autoversicherung für Probleme. Hier lieferten sich die großen Anbieter erbitterte Schlachten um die Marktführerschaft. Dazu kamen Schadenwellen durch strenge Winter und berstende Wasserleitungen.
Seit 2011 steigen die Preise in der Autoversicherung. Ob der Trend anhält, muss sich zeigen. Schließlich will die Allianz der HUK-Coburg die unlängst verlorene Marktführerschaft wieder abnehmen. Dabei ist Vorsicht angesagt. Der große Anbieter Zurich hat gerade gezeigt, dass der heftige Konkurrenzkampf mit entsprechenden Kampfpreisen in der Industrieversicherung Langzeitschäden mit sich bringen kann: Zurich muss seine Schadenreserven um 550 Mio. Dollar (420 Mio. Euro) stärken, weil die Schadenbelastung sich als heftiger herausstellt als erwartet. Dennoch: Für die meisten Gesellschaften wird die Schaden- und Unfallseite 2012 deutlich positiver ausfallen als in den Vorjahren.
Herausforderungen gibt es genug. Natürlich wirken sie sich auch auf die Belegschaften aus – Stellenabbau sind bei Axa, Ergo, Allianz und anderen auf der Tagesordnung. Doch die blinde Senkung der Kopfzahlen bringt wenig. Nur wer intelligent umbaut, kann im neuen Umfeld bestehen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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