Versicherer wildern im Banken-Revier

Die Bundesbank sieht einen Strukturbruch im Finanzgewerbe – wegen derniedrigen Zinsen

Reinhard Hönighaus Karsten Röbisch Herbert Fromme

Karsten Röbisch, Reinhard Hönighaus, Frankfurt,

und Herbert Fromme, Berlin

Die niedrigen Zinsen könnten nach Ansicht der Bundesbank den europäischen Finanzmarkt dauerhaft verändern und zu einer neuen Konkurrenzsituation zwischen Banken und Versicherungen führen. Weil die Assekuranz mit Staatsanleihen kaum noch die Zinsen verdient, die sie ihren Kunden zugesagt hat, strebt sie in rentablere und zugleich riskantere Geschäftszweige. „Das spornt eine Suche nach Rendite an“, sagte der für Finanzstabilität zuständige Bundesbankvorstand Andreas Dombret am Mittwoch in Frankfurt bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts. Die Versicherer konkurrieren damit immer öfter mit den Banken, etwa bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten oder Immobilien sowie im Firmenkreditgeschäft.

Nach Angaben der Bundesbank sind die Erträge der Versicherungen aus der Kapitalanlage 2011 gegenüber dem Vorjahr von 4,3 auf 4,1 Prozent gesunken, Tendenz weiter fallend. Für die Anbieter wird es daher immer schwerer, die in den Verträgen zugesagten Renditen zu verdienen. Bei den bestehenden Policen liegt die Garantieverzinsung im Durchschnitt bei 3,2 Prozent. Die niedrigen Zinsen seien eine „gewaltige Herausforderung“ für die Branche, räumte Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), am Mittwoch in Berlin ein. „Das ist eine Belastungsprobe für die private Altersvorsorge.“

Von Zahlungsschwierigkeiten einzelner Mitglieder will der GDV indes nichts wissen. Die deutschen Versicherer können nach eigenen Angaben die Garantiezusagen an ihre Kunden langfristig erfüllen. „Alle Rechnungen, die wir machen, bei denen das heutige Zinsniveau so bleibt, können wir dauerhaft aushalten“, sagte Norbert Heinen, Chef der Württembergischen Lebensversicherung und Mitglied des Fachausschusses Lebensversicherung im GDV.

Bundesbankvorstand Dombret äußerte sich zurückhaltend zu dem Thema. Eine Analyse des Bundesfinanzministeriums, nach der das schwächste Fünftel der Lebensversicherer bei anhaltenden Niedrigzinsen in Gefahr gerate, wollte er sich jedenfalls nicht zu eigen machen. „Bei der Wertung solcher Aussagen bin ich zurückhaltend. Solche Aussagen hängen immer vom gewählten Szenario ab“, sagte Dombret.

Der GDV verweist seinerseits auf Äußerungen der Finanzaufsicht BaFin: „Von der BaFin gibt es die Aussage, sie könne bei keinem Unternehmen erkennen, dass es in einer Schieflage ist“, sagte Heinen. Die Branche habe viele höher verzinste Kapitalanlagen und außerdem andere Gewinnquellen, aus denen sie die Garantien notfalls bedienen könne, so der Lebensversicherungsexperte.

Die Versicherer setzen verstärkt auf alternative Anlagen etwa in Immobilien, die noch aber nur einen geringen Teil der Investitionen ausmachen. Nach Daten der Bundesbank haben Versicherer knapp 56 Mrd. Euro als Immobilienkredite verliehen, das sind 4,6 Prozent ihrer Kapitalanlagen. Weitere 9,5 Mrd. Euro oder 0,8 Prozent der Anlagen entfallen auf Unternehmenskredite. Einen größeren Anteil alternativer Anlagen begrüßt die Bundesbank grundsätzlich. „Wir haben nichts dagegen, dass Versicherer in neue Geschäftsfelder vordringen. Wichtig ist, dass sie ein richtiges Risikomanagement dafür aufbauen“, betonte Dombret. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Assekuranz die Gefahren falsch einschätze und zu hohe Risiken eingehe.

Das Vorrücken der Versicherer in die Immobilien- und Unternehmensfinanzierung verschärft nach Ansicht von Dombret in jedem Fall den Wettbewerb und setzt die Margen weiter unter Druck. Leidtragende sind die Banken, die um ihr Kerngeschäft kämpfen müssen. Besonders bei langfristigen Krediten können sie inzwischen kaum noch mit Versicherungen mithalten, die dank ihrer stabilen Beitragseinnahmen keine Refinanzierungsprobleme haben. Banken hingegen können kaum noch langfristige Schuldtitel begeben.

Nach Beobachtung der Bundesbank ist der Vormarsch der Versicherungen aber nicht die einzige Gefahr für die Kreditinstitute. Ihr im Fachjargon als Disintermediation bezeichneter Bedeutungsverlust werde auch in der Unternehmensfinanzierung deutlich. Firmen mit einem guten Rating können sich seit der Finanzkrise zu besseren Konditionen direkt am Kapitalmarkt Geld besorgen und sind nicht mehr auf Bankkredite angewiesen. Damit entgeht den Geldhäusern Geschäft. „Viele Unternehmen erkennen die Vorteile einer stärkeren Diversifizierung ihrer Finanzierung und ersetzen möglicherweise dauerhaft Bankkredite“, urteilt die Bundesbank. Die Anzeichen einer stärkeren Unabhängigkeit von Banken hätten sich 2012 deutlich verstärkt, obgleich Unternehmen aus der Euro-Zone den Kapitalmarkt als Geldquelle weiterhin nur selten nutzen. Nur zehn Prozent des Fremdkapitals aller Firmen entfallen auf die Kapitalmarktfinanzierung, in den USA liegt der Wert bei 70 Prozent.

Die Banken haben somit einiges zu verlieren – und müssen auf die Bedrohung reagieren. „Es ist unklar, inwieweit es den Kreditinstituten gelingt, den etwaigen Ertragsausfall über wachsendes Kapitalmarktgeschäft zu kompensieren“, urteilt die Bundesbank, die in der Entwicklung gar einen Strukturbruch sieht. Einige Häuser könnten versuchen, über eine Ausweitung der Kapitalmarktsparte Einbußen im Kreditgeschäft aufzufangen. Laut Bundesbank besteht die Gefahr, dass Wettbewerber Firmenkredite zu günstig anbieten, um in der Hoffnung auf weitere Einnahmen die Geschäftsbeziehung zum Kunden zu erhalten. Auch die Kreditvergabe an Firmen mit schlechter Bonität könnte ausgeweitet werden.

Noch aber attestiert die Bundesbank den Geldhäusern eine geringe Risikoneigung. Sie bereinigten nach wie vor ihre Bilanzen. „Zusammen mit den sich abzeichnenden neuen regulatorischen Anforderungen wirkt dies dem Eingehen neuer, risikoreicher Positionen tendenziell entgegen“, urteilt die Bundesbank. So müssen Kreditinstitute riskante Geschäfte künftig mit mehr Eigenkapital unterlegen, was viele Wetten unattraktiv macht.

Quelle: Financial Times Deutschland

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