Die Nürnberger ist eigentlich nur eine dieser mittelgroßen deutschenVersicherungen. In Franken aber ist sie eine richtig große Nummer. An ihrerSpitze hat ein 70-Jähriger eine wohl beispiellose Alleinherrschaft etabliert.Aktionäre wie die Munich Re und die Deutsche Bank lassen ihn gewähren
Herbert Fromme
Herbert Fromme , Köln
Hans-Peter Schmidt ist gern im Büro. Fast jeden Tag verbringt der 70-Jährige im Hochhaus der Nürnberger Versicherungsgruppe, einem mittelgroßen Konzern mit 4,6 Mrd. Euro Umsatz. Dabei sitzt er schon seit 2002 nicht mehr im Vorstand der börsennotierten Gesellschaft, sondern ist ihr Aufsichtsratsvorsitzender.
Aber was für einer. Schmidts Geschichte ist ein Lehrstück, wie man auch heute trotz Kontrollinstanzen in deutschen Aktiengesellschaften selbstherrlich wirtschaften kann – in diesem Fall auf Kosten der Aktionäre. Mit einem ausgeklügelten Webwerk an Seilschaften hat er sich eine in der deutschen Finanzindustrie wohl einzigartige Machtposition geschaffen – und lässt dabei selbst Milliardenkonzerne wie die Munich Re und die Deutsche Bank, beides Großaktionäre der Nürnberger, hilflos aussehen. „Schmidt kann nicht loslassen und macht kein Hehl daraus, dass nur er weiß, wie diese Gesellschaft geführt werden kann“, sagt ein Brancheninsider. „Außerdem ist er ein ausgeprägter Machtmensch.“ Seine Hauptinstrumente: enge Verbindungen zur Regierungspartei CSU, hoch dotierte Posten von seinen Gnaden, üppiges Sponsoring.
Das lohnt sich auch für ihn ganz persönlich. 2011 erhielt er nach FTD-Informationen aus Aktionärskreisen 713 000 Euro als Aufsichtsrat bei der Nürnberger Beteiligungsgesellschaft und weitere Mandate bei mehreren Tochterfirmen. Im Jahr davor waren es 773 000 Euro, zusätzlich zu seiner Pension, die mehrere Hunderttausend Euro betragen dürfte. Zum Vergleich: Gerhard Cromme bekam als Aufsichtsratschef des Siemens-Konzerns 2011 nur gut 606 000 Euro. Fragen dazu will das Unternehmen nicht beantworten. Wenn Schmidt auf Hauptversammlungen nach seinem Salär gefragt wird, kommt seine Standardantwort, die sich so auch im Geschäftsbericht findet: „Die Vergütung der Mitglieder des Aufsichtsrats kann der Satzung der Nürnberger Beteiligungs-Aktiengesellschaft entnommen werden, sodass eine zusätzliche Offenlegung entbehrlich ist.“ Allerdings werden die Satzungen der Obergesellschaft und der Töchter nicht veröffentlicht, sondern müssen beim Registergericht eingesehen werden.
Anhand der Aufsichtsratsvergütungen lässt sich erahnen, wie Schmidt über eine geschickte Postenpolitik seine Machtposition absichert, indem er Belegschaftsvertreter, Politiker und einflussreiche Funktionäre fördert, etwa im Automobilhandel, einer großen Kundengruppe der Nürnberger. Dabei hilft sein Firmengeflecht: Der Nürnberger gehören ihre Töchter meist zu 100 Prozent, sie haben Ergebnisabführungsverträge mit der Mutter. Bei vielen Versicherern ist es üblich, dass Aufsichtsräte dort nur mit der Mindestanzahl von Mitgliedern besetzt werden, meistens Vorstände oder Aufsichtsräte der Muttergesellschaft. Deren Vergütungen werden dann weitgehend verrechnet mit den Salären aus den Hauptjobs. Nicht so bei der Nürnberger. Dort erhalten die Aufsichtsräte für ihre Tätigkeit in mehreren Gremien separate Vergütungen, die sich aufaddieren. Verrechnet wird nichts. Dabei kommen erstaunliche Summen heraus: Die Mitarbeiter werden unter anderem von einem Generalagenten vertreten. Für seine Mühen im Aufsichtsrat erhielt er zusätzlich zum Gehalt im Jahr 2011 stattliche 374 000 Euro. Zum Vergleich: Exakt die Summe bekam 2011 Manfred Bischoff, Aufsichtsratschef von Daimler. Ein anderer Vertreter der Belegschaft kam auf 183 000 Euro – etwas mehr noch als Simone Bagel-Trah, die Aufsichtsratschefin von Henkel.
Die Aktionärsseite im Aufsichtsrat muss ebenfalls nicht darben. Für seine Dienste in verschiedenen Gremien wurde Fritz Haberl, der im Juni verstorbene langjährige Chef des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe, mit der stolzen Summe von 476 000 Euro entlohnt. Der Vertrieb über unabhängige Autohäuser ist eines der wichtigen Vertriebsstandbeine der Nürnberger.
Auch für CSU-Politiker fällt viel Geld ab: Der frühere Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber bekam 2011 110 000 Euro an Aufsichtsratsvergütung. Er half Schmidt im Jahr 2000, die Unabhängigkeit der Gruppe – und damit die Position Schmidts – zu sichern. Die CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl ist auch im Aufsichtsrat, ebenso ihr Mann Hans Rudolf Wöhrl. Stefan Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, dient dort ebenso wie der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein.
Die Nürnberger will zu konkreten Fragen der FTD nicht Stellung nehmen. „Die Tätigkeit, Zusammenarbeit und die Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand in allen Gesellschaften der Nürnberger Versicherungsgruppe verläuft streng nach Gesetz, Verordnung, Deutschem Corporate Governance Kodex, Satzung und Geschäftsordnung“, teilen Vorstand Armin Zitzmann und Chefjurist Hans-Ulrich Geck mit. Was Zitzmann und Geck nicht sagen: Die Nürnberger weicht dabei in verschiedenen Punkten vom Corporate Governance Kodex ab. So sieht der Kodex eine Altersgrenze für Aufsichtsräte vor – das setzt die Nürnberger nicht um. Der Kodex verlangt die Einzelwahl in den Aufsichtsrat, die Nürnberger bleibt bei der Listenwahl. Und auch die im Kodex geforderte individuelle Veröffentlichung der Aufsichtsratsbezüge verweigert das Unternehmen. Die Nürnberger erklärte, sie halte den Corporate Governance Kodex ein, allerdings mit Ausnahmen. Dazu gehört, dass das Unternehmen keine Altersgrenze bei der Wahl zum Aufsichtsrat akzeptiert, die der Kodex eigentlich vorschreibt. Die Nürnberger begründet das damit, dass die Altersgrenze das Wahlrecht der Aktionäre einschränke.
Vor allem Nikolaus von Bomhard, Chef des weltgrößten Rückversicherers Munich Re, müssten die Zustände in Nürnberg peinlich sein. Denn sein Unternehmen ist größter Aktionär mit knapp 20 Prozent und auch im Aufsichtsrat vertreten. Und von Bomhard positioniert sich öffentlich als strenger Hüter der Regeln guter Unternehmensführung (Corporate Governance).
Aber bei der Nürnberger lässt von Bomhard zu, dass Einzelne das Unternehmen offenbar als Selbstbedienungsladen benutzen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Die Munich Re müsste für Veränderungen die übrigen Großaktionäre gewinnen – und denen sitzt eine fehlgeschlagene gemeinsame Initiative für Änderungen bei der Nürnberger aus dem Jahr 2011 noch in den Knochen. Die Versicherungskammer Bayern hält 13,08 Prozent, der Rückversicherer Swiss Re ist mit 6,8 Prozent beteiligt, die Deutsche Bank hält 6,6 Prozent.
Dazu kommt, dass die Munich Re die Nürnberger-Aktien nicht direkt besitzt, sondern über zwei zwischengeschaltete GmbHs – die Consortia Versicherungs-Beteiligungsgesellschaft mit 25 Prozent Anteilen und die Seba Beteiligungsgesellschaft mit 17,5 Prozent. Beide gehören ihr mit anderen Eignern, vor allem dem Träger der betrieblichen Altersversorgung der Nürnberger-Mitarbeiter. Chef beider Gesellschaften und damit Stimmführer in der Hauptversammlung ist Geck.
Warum die Munich Re nicht längst auf die Auflösung dieser zwischengeschalteten Gesellschaften drängt, die einst aus steuerlichen Gründen errichtet wurden, bleibt ein Geheimnis. Dann könnte sie nämlich selbst bei Hauptversammlungen abstimmen. Gegenüber der FTD will sich das Unternehmen nicht äußern. Die Nürnberger ist auch ein großer Kunde der Munich Re, die Versicherungen wie die Nürnberger gegen Großschäden absichert.
Intern sichert Schmidt seine Macht ab, indem er seine Vorstände praktisch in Manndeckung nimmt. Sein Büro liegt direkt neben dem des Vorstandschefs Werner Rupp. Sie teilen sich das Sekretariat. Schmidt ist über alles informiert, berichten Mitarbeiter. Er isst täglich mit den Vorständen, ermahnt, gibt Ratschläge. Jedem ist klar, dass es von Schmidt abhängt, ob ein Vorstandsvertrag verlängert wird oder nicht. Bis 2011 nahm Schmidt häufig sogar direkt an Vorstandssitzungen teil.
In der Region hat er sich als Mäzen praktisch unangreifbar gemacht. Über viel Geld des Reiters und Präsidenten des Bayerischen Reit- und Fahrverbands kann sich der Pferdesport freuen. So vergibt Schmidts Gesellschaft etwaden „Nürnberger Burg-Pokal“ für sieben- bis neunjährige Nachwuchspferde in der Dressur. Die Lebenshilfe in Lauf an der Pegnitz bekommt großzügige Spenden für ein modernes Reittherapiezentrum. Die Nürnberger sponsert die Gluck-Festspiele, auch die Nürnberger Oper wird bedacht. In Bad Gastein bei Salzburg fördert die Nürnberger das Tennisturnier „Nürnberger Gastein Ladies“, das auf dem Court des Luxushotels Europäischer Hof ausgetragen wird. Eigner der wirtschaftlich mäßig erfolgreichen Nobelherberge: die Nürnberger. Und in allen Pressemitteilungen über die guten Werke der Nürnberger taucht immer ein Name auf: Hans-Peter Schmidt.
So hat er auch die Belegschaft auf seine Seite gebracht. Schmidt gilt als Bewahrer der Unabhängigkeit der Gesellschaft. 2000 wollte die Deutsche Bank, die damals 27 Prozent hielt, aussteigen. Die Munich Re, vor allem aber die zum Sparkassenlager gehörende Versicherungskammer Bayern, signalisierte Interesse und kaufte Aktien in großem Stil. Schmidt war Vorstandschef. Er brachte Stoiber in Stellung – und sorgte so dafür, dass die Versicherungskammer von den Sparkassen zurückgepfiffen wurde. Auch die Munich Re verlor bald das Interesse an einer möglichen Übernahme. Der Kauf einer Gesellschaft mit großem Lebensversicherer wäre unvereinbar mit der Grundphilosophie von Bomhards, der nicht mehr an die Überlebensfähigkeit der Lebensversicherung in ihrer jetzigen Form glaubt. Außerdem hat er genug Probleme bei der Tochter Ergo in Düsseldorf. Aber immer noch herrscht in Nürnberg Furcht vor einer möglichen Eroberung. Und Schmidt gibt sich als Garant der Unabhängigkeit.
Dabei ist die wirtschaftliche Situation der Nürnberger alles andere als komfortabel. Zwar steht sie in der Lebensversicherung besser da als viele Konkurrenten, weil sie früh das Geschäft mit klassischen Lebensversicherungen reduziert und stattdessen auf Risikopolicen und fondsgebundene Angebote gesetzt hat. In der Schaden- und Unfallversicherung sieht es aber nicht gut aus – das Geschäft über die Autohäuser unterliegt scharfer Konkurrenz. Die Nürnberger hatte einst Beteiligungen an Autohäusern mit mehr als 50 Standorten und musste Millionensummen darauf abschreiben. Aktuell verdient das Unternehmen mäßig, 2010 gab es sogar einen versicherungstechnischen Verlust.
Schmidt ficht das nicht an. Auf der Hauptversammlung im April 2013 will er erneut kandidieren. Dann dürfte er fünf weitere Jahre regieren.
Quelle: Financial Times Deutschland
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