Wer keine Meinung hat, ist auch nicht angreifbar

 Meinung am Mittwoch  Sollten Versicherungsvorstände öffentlich zu Themen Stellung nehmen, die nicht nur das eigene Unternehmen und die eigene Position betreffen, sondern auch etwa die Politik? Ich möchte das mit einem sehr nachdrücklichen „Ja“ beantworten. Wir müssen uns sogar zwingend zu politischen Entscheidungen äußern, insbesondere wenn sie populistisch motiviert und in der Sache nicht durchdacht sind – auch wenn uns das angreifbar macht.

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1 Antwort »

  1. Dieser Beitrag ist richtig und überfällig. Von wenigen Ausnahmen abgesehen nehmen die Chefs der deutschen Versicherer nicht ausreichend am Diskurs über die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen eines nachhaltig erwirtschafteten Wohlstands teil. Das überrascht, weil doch die Assekuranz mehr als jede andere Branche Daten und Kenntnisse zu langfristigen Trends wie den menschengemachten Klimawandel, neuartigen Risiken wie z.B. Cyber oder, ganz grundsätzlich, „gute Regulierung“ hat. Ihr Schweigen folgt dem Motto „der getauchte Wal kann nicht harpuniert werden“, was heute nicht mehr funktioniert (der Wal kann auch nicht atmen, aber das ist ein anderes Thema). Die Unsichtbarkeit ist auch kurzsichtig, weil es heute, nach vielen Skandalen in der Wirtschaft, um Vertrauen geht. Vertrauen entsteht aber nur gegenüber Personen, ihrer Persönlichkeit, ihren Zielen und ihren Werten. Es entsteht nicht zu „seelenlosen“ Institutionen, erst recht nicht zu solchen, die keine anfassbaren Produkte herstellen. Die Chefs der Versicherer müssen mehr aus der Deckung, die „heißen Kartoffeln“ an den Verband zu delegieren reicht nicht mehr aus.

    Ich vermisse in dem Beitrag jedoch eine wichtige „Haltelinie“. Allgemeinpolitische Aussagen von Vorstandsvorsitzenden müssen einen klaren Bezug zu den Interessen der von ihnen geführten Unternehmen haben. Denn anders als Politiker sind sie nicht demokratisch legitimiert. Wertungen zu gesellschaftlichen Themen ohne unmittelbaren Bezug zum Unternehmen können Kunden, Mitarbeiter und Aktionäre irritieren, die dazu andere Meinungen haben. Nach wie vor ist der Manager eines börsennotierten Unternehmens ein Angestellter, der die Interessen dieser Stakeholder zu vertreten hat. Und es wird schnell eine moralische Fallhöhe erzeugt, die sich im Falle widersprüchlichen Handelns anderswo im Unternehmen rächt.

    Dabei bleiben doch wirklich viele Themen übrig. Wo ist die über punktuelle Warnungen hinausgehende Kampagne, die vor den Folgen der Niedrigzinspolitik etwa für die Altersvorsorge unserer Kinder warnt? Warum hat, mit Ausnahme der beiden DAX-gelisteten Unternehmen, kaum ein Versicherer vor den seit 40 Jahren hinreichend bekannten Folgen der Erderwärmung gewarnt? Und nach vorne: wo ist heute die Stimme der Assekuranz, die sich über die ethischen Folgen der künstlichen Intelligenz im sensiblen Umfeld der Personenversicherung Gedanken macht – bevor das andere tun?

    Christian Lawrence, Partner bei Brunswick, früherer Kommunikationschef von Munich Re

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