Kurz vor der Bundestagswahl hat sich die PKV in den Wahlkampf eingeschaltet und warnt vor dem Kreuzchen bei Rot/Grün. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Den Abwehrkampf der privaten Krankenversicherer gegen das Projekt Bürgerversicherung gab es schon einmal. Vor 60 Jahren.
Herbst 1953. Die Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag stehen kurz bevor. Und wieder einmal muss die private Krankenversicherung (PKV) um ihre Existenz zittern. Denn ein Gespenst geht um in Deutschland. Es ist das Schreckgespenst einer Allgemeinen Staatsbürgerversicherung, die die Privatversicherer aus einem „Sozialplan“ der SPD herauslesen.
Nach der in das Wahlprogramm der Partei eingebetteten Vorstellung sollten die bisherigen Systeme der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung durch eine einheitliche Staatsbürgerversicherung ersetzt werden – so jedenfalls interpretierte die PKV die in dem „Sozialplan“ enthaltene SPD-Forderung zur Gesundheitssicherung: „Die soziale Sicherung soll allen des Schutzes bedürftigen gewährt werden: Lohn- und Gehaltsempfängern, den schutzbedürftigen Handwerkern, Gewerbetreibenden, Bauern und Angehörigen der freien Berufe“. Denn: „Jeder hat das Recht auf Erhaltung und Wiederherstellung seiner Gesundheit.“ Alle Maßnahmen der Heilung sollten wirksam zusammengefasst werden, weil „Zersplitterung unwirtschaftlich ist, ob sie nun aus Gruppenegoismus oder anderen Gründen stammt.“
Die Mittel sollten durch „Steuern, Beiträge und Sozialabgaben aufgebracht werden. Organisatorische Vereinfachung und finanziell straffe Steuerung sollen wesentliche Einsparungen ergeben.“ Der Sozialplan sollte nach dem Willen der SPD mit „alten Vorstellungen von Versicherung, Versorgung und Fürsorge aufräumen“. Er sollte damit aber weder eine „Eintopfversicherung“ noch eine bürokratische Staatsversorgung angestrebt werden, verlautete dazu aus der Partei beschwichtigend.
Über die Art der Organisation gab es freilich noch keine konkreteren Angaben. Gleichwohl sahen die PKV-Funktionäre in dem SPD-Plan keinen Unterschied zu Einheitsversicherung und Staatsversorgung etwa nach dem Prinzip des englischen Gesundheitsdienstes. Da durften dann auch naheliegende Hinweise auf die abschreckenden „Verhältnisse in der Sowjetzone“ nicht fehlen: „Das deutsche Volk hat aus den in Berlin, Mitteldeutschland und seiner unmittelbaren Nachbarschaft gelieferten Beweisen gelernt und lehnt daher ein System der sozialen Sicherheit nach dem Muster der Einheitsversicherung ab“, warnte der PKV-Verband.
„Das deutsche Volk hat aus den in Berlin, Mitteldeutschland und seiner unmittelbaren Nachbarschaft gelieferten Beweisen gelernt und lehnt daher ein System der sozialen Sicherheit nach dem Muster der Einheitsversicherung ab.“
PKV-Verband, 1953
Im Ringen um ihre bedrohte Existenz bot die PKV für ihren Propagandafeldzug gegen die SPD-Idee vor der Bundestagswahl schweres publizistisches Geschütz auf. So ließ der Verband in seiner kostenlos an die mehr als neun Millionen Privatversicherten verteilten Monatspostille Das Band zu Millionen Prominente aus Politik und Wissenschaft kurz vor der Bundestagswahl gegen die Parteiinitiative anschreiben. Zu den Autoren gehörten Bundesfinanzminister Fritz Schäffer („Kann ein Sozialplan durch den heutigen Finanzetat des Staates getragen werden?“), Bundesarbeitsminister Anton Storch („Die Sozialversicherung – ein Grundpfeiler der sozialen Sicherung“) und Wirtschaftsprofessor Wilhelm Röpke („Die freie soziale Markwirtschaft als Schutzwall des Individuums“).
Selbst prominente Sozialdemokraten führte die PKV als Zeugen auf, sofern sie in ihrer Meinung über den „Sozialplan“ von der Orthodoxie ihrer Parteilinie abwichen – allen voran Alex Möller, Chef der Karlsruher Lebensversicherung und SPD-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag. Möller kritisierte die eigenen Genossen: „Ihre Parolen, die private Wirtschaft sei zu fördern und der staatliche Protektionismus sei in seine Schranken zurückzuverweisen, gehören zwar zu ihrem allgemeinen Sprachschatz, aber noch längst nicht zu ihrem Gedankenschatz.“
Das Zittern der privaten Krankenversicherer vor dem nahenden Aus war aber unnötig. Die SPD unter Erich Ollenhauer erreichte bei den Wahlen zum 2. Deutschen Bundestag mit nur 28,8 Prozent das bis 2009 zweitschlechteste Ergebnis; Adenauers CDU kam auf 45,2 Prozent, die FDP auf 9,5 Prozent.
Hubert Clemens
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