Abschaffung der gesetzlichen Rente zwingt erst recht zum Nachdenken über private Vorsorge.
Die Berliner Politiker haben ein großes Herz für die Versicherungswirtschaft. Mit der angekündigten – und später zurückgenommenen – Besteuerung der Lebensversicherungserträge bescherte Finanzminister Hans Eichel der Branche 1999 enorme Zuwächse. Walter Riesters Rentenreform spendiert den Unternehmen ab 2002 weitere Rekordumsätze, wenn die Rentenlücke durch staatlich geförderte private Vorsorge geschlossen werden soll.
Auch in der Zwischenzeit müssen die Versicherungsvertreter nicht darben. Den Plan der Kohl-Regierung, die gesetzliche Berufsunfähigkeitsversicherung auslaufen zu lassen, hat Rot-Grün zum 1. Januar dieses Jahres umgesetzt. Die Verkaufstruppen der Assekuranz sind mit privaten Alternativangeboten unterwegs. Wer in diesen Tagen einen Anruf von einem nervigen Vertreter bekommt, sollte nicht gleich abwinken – die Gesetzesänderungen zwingen zum Nachdenken über private Alternativen.
Wenn man 25 ist, scheint das Unfallrisiko oft die einzige wirkliche Bedrohung. Deshalb sichern sich viele junge Leute dagegen mit einer – in der Regel überteuerten – Unfallpolice ab, aber nicht gegen Krankheiten. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Bei deutlich über zwei Dritteln aller Menschen, die aus Gesundheitsgründen ihren Beruf nicht mehr ausüben können, ist eine Krankheit der Grund: kaputter Rücken, Herzkrankheiten, Krebs.
Das Risiko ist groß. Jeder vierte Erwerbstätige wird im Lauf des Arbeitslebens berufsunfähig. Die gesetzliche Berufsunfähigkeitsversicherung kann im Ernstfall die entstehende finanzielle Lücke nicht ausfüllen – falls sie überhaupt zahlt. Zum 1. Januar 2001 hat der Gesetzgeber die Rentenansprüche drastisch eingeschränkt. Wer heute unter 40 Jahre ist, hat keinen gesetzlichen Berufsunfähigkeitsschutz mehr. Kann er den bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, muss er einen anderen Job annehmen, unabhängig von Qualifikation und bisherigem Status.
Wer nur noch drei bis sechs Stunden täglich arbeiten kann, erhält eine halbe so genannte Erwerbsminderungsrente. Nur wer überhaupt nicht mehr oder nur noch bis zu drei Stunden erwerbstätig sein kann, bekommt die volle Erwerbsminderungsrente, die aber in jungen Jahren nach wenigen Beitragsjahren gerade mal das Existenzminimum sichert.
Für die über 40-Jährigen hat sich die ohnehin unzureichende Absicherung weiter verschlechtert. Bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 6000 DM und darüber bekamen sie vor der Reform eine Rente von etwa 1600 DM im Monat, wenn ihre Berufsfähigkeit im erlernten oder vergleichbaren Beruf um mehr als 50 Prozent eingeschränkt war. Jetzt müssen sie mit weiteren Abschlägen von bis zu zehn Prozent rechnen.
Private Berufsunfähigkeitsversicherungen gibt es als selbstständige Produkte und in Kombination mit Risiko-, Kapital-oder Rentenversicherungen. Isolierte Berufsunfähigkeitsversicherungen sind häufig teurer als kombinierte. Verbraucherschützer empfehlen den Abschluss einer Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatz. Von der Kombination mit einer Kapital-oder Rentenversicherung raten die Experten ab. Denn um einen angemessenen Schutz zu bekommen, muss der Kunde zu tief in die Tasche greifen.
Akademiker oder kaufmännisch Tätige berappen in der Regel weniger für eine Police als schwer körperlich Arbeitende. Für eine Risikolebensversicherung mit einer Summe von 100000 DM und einer Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 2000 DM zahlen 30-jährige zwischen 600 und 1500 DM jährlich. Mit steigendem Eintrittsalter erhöht sich die Prämie deutlich. Für dieselbe Leistung, die einen bei Abschluss 30-Jährigen knapp 1000 DM im Jahr kostet, muss ein 40-jähriger rund 1300 DM zahlen.
Experten empfehlen, die Entscheidung für eine Versicherung nicht nur vom Preis abhängig zu machen. Wer nach einem geeigneten Produkt sucht, sollte nach Auffassung von Wolfgang Scholl von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen unbedingt auf zwei entscheidende Kriterien achten.
Zunächst sollten niemals Vertragsbedingungen akzeptiert werden, die eine Verweisungsklausel enthalten. Diese Klausel berechtigt das Versicherungsunternehmen zur Zahlungsverweigerung, wenn der Kunde noch einen anderen, seiner Qualifikation und bisherigen Stellung entsprechenden Beruf ausübenkann. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist unerheblich, ob er einen angemessenen neuen Job findet oder nicht.
Zweitens sollte vor Vertragsabschluss auf jeden Fall geprüft werden, ab wann die Versicherung von einer Berufsunfähigkeit ausgeht, die zum Bezug der vereinbarten Rente berechtigt. Viele Unternehmen nehmen die Zahlungen auf, wenn der Versicherte voraussichtlich mindestens ein halbes Jahr berufsunfähig ist. Andere leisten aber erst, wenn Ärzte die Berufsunfähigkeit für mindestens drei Jahre prognostizieren.
Die besten Bedingungen helfen nicht, wenn das Unternehmen dem Kunden im Antragsformular Fallen stellt. Denn wenn die Gesellschaft im Ernstfall nachweisen kann, dass der Kunde falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat, geht der Berufsunfähige leer aus.
Untiefen haben vor allem die Fragen zum aktuellen Gesundheitszustand und zu zurückliegenden Krankheiten. Skepsis ist angebracht, wenn ein Unternehmen Angaben zu stationären Behandlungen verlangt, die mehr als zehn Jahre zurückliegen. Auch Fragen zu Arztbesuchen und Erkrankungen, die vor mehr als fünf Jahren auftraten, sprechen nicht für eine Gesellschaft.
Auf keinen Fall lohnt es sich, die Versicherung in Sachen Gesundheit hinters Licht führen zu wollen. Tritt eine Berufsunfähigkeit ein, kann das Unternehmen nachträglich nach verborgenen Gesundheitsrisiken suchen und bei Erfolg die Zahlung verweigern. Der Kunde kann vorbeugen, indem er den Versicherer ermächtigt, beim Hausarzt die geforderten Angaben einzuholen. Auf diese Art der Beweislastumkehr im Ernstfall lässt sich allerdings nicht jede Gesellschaft ein.
Wer aus Alters-oder Gesundheitsgründen keinen Versicherer findet, sollte wenigstens eine preisgünstige Unfallversicherung abschließen – und nach anderen Möglichkeiten zuverlässiger regelmäßiger Einkünfte jenseits des Gehalts Ausschau halten, etwa Mieteinnahmen.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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