Der Rentenreform-Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat war kaum verabschiedet, da prangten Mitte Mai schon die ersten Plakate der Victoria-Lebensversicherung zur Riester-Rente in den Innenstädten. „Die Förderrente“ wurde dreist beworben: „Sie haben gerade wichtigeres zu tun? Dann kriegt die 32000 DM eben jemand anders.“ Das ist schlicht falsch: Natürlich bekommen auch Kunden die staatliche Förderung, die erst später abschließen.
Mit ihrer aggressiven Werbung fing sich die Victoria eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf ein. Die Richter teilten die Auffassung von Verbraucherschützern, dass Werbung mit der Bezeichnung „Förderrente“ zum jetzigen Zeitpunkt irreführend ist, da die staatliche Zertifizierung noch aussteht. Frank Neuroth, als Direktor zuständig für das Privatkundengeschäft, hält das für ein Hilfsargument. „Das Gesetz ist eindeutig bei den Kriterien, wir bilden sie genau ab.“ Die Victoria hat Einspruch eingelegt.
Ihre Frechheit hat sich gelohnt. Die Victoria Leben, die zum Ergo-Konzern und damit zur Münchener Rück gehört, hatte in den neun Wochen bis zum 16. Juli schon 66814 Riester-Policen verkauft. So früh wie die Victoria hatte kein Versicherer den Fuß in der Riester-Tür. Auch die Konzernschwester Hamburg-Mannheimer ist erst Anfang Juli eingestiegen. Ihre Vertreter und der Strukturvertrieb HMI sind seit 14 Tagen unterwegs, um die „Kaiserrente“ an den Mann und die Frau zu bringen.
Konkurrenten reagieren auf die Victoria-Zahlen mit ungläubigem Kopfschütteln. Denn während bei vielen Gesellschaften trotz hektischer Betriebsamkeit in den Vorstandsetagen die Riester-Kampagne beim Fußvolk nur schleppend in Gang kommt, hat die Victoria die erste Welle bereits hinter sich. Rein rechnerisch hat jeder der 4400 Victoria-Vertreter in den letzten neun Wochen 15 Riester-Policen verkauft.
Die Gesellschaft hatte sich seit Anfang des Jahres akribisch auf den Tag X vorbereitet. Schon im Januar sicherte sie sich die Internetdomain www.foerderrente.de . Zwei Monate vor der Verabschiedung im Bundesrat durchforsteten spezielle Programme den gesamten Kundenbestand nach potenziellen Riester-Nutzern. Von den insgesamt sechs Millionen Kunden der Victoria-Gruppe kommen 1,7 Millionen für die Förderung in Frage. „Ab dem 30. März haben wir unseren kompletten Außendienst auf das Thema eingestellt“, berichtet Neuroth. Zwei Wochen nach Verabschiedung des Altersvermögensgesetzes hatten die identifizierten Victoria-Kunden Post aus der Düsseldorfer Zentrale im Briefkasten.
Geschickt verknüpfte die Victoria die Riester-Rente mit der ohnehin stattfindenden Kampagne zum Verkauf von Berufsunfähigkeitspolicen nach der Kürzung der entsprechenden gesetzlichen Renten. Eine effektive Strategie: Bei der Hälfte der 68000 Riester-Verträge kauften die Kunden auch eine zusätzliche Deckung zur Berufsunfähigkeit.
Das ist für den Vertrieb günstig. Denn die Provisionen, die Riester-Produkte alleine einspielen, sind nicht üppig. Die Vertreter bekommen 75 Prozent der Provision einer normalen Lebensversicherung – 2,3 Prozent der Beitragssumme. Bei einer Eigenleistung von 260 DM pro Jahr und einer Laufzeit von 30 Jahren gibt es 180 DM (2,3 Prozent von 7800 DM). Die Anpassung der Riester-Rente auf vier Prozent in drei Stufen bringt jedes Mal eine weitere Provision, allerdings etwas weniger wegen der kürzeren Laufzeiten. Die staatliche Beihilfe wird wie ein Einmalbeitrag ebenfalls verprovisioniert. Wenn der staatliche Zuschuss 200 DM beträgt, gibt es 4,60 DM – jedes Jahr, bis Ende des Vertrags.
„In der Startphase wird das Riester-Geschäft in den Bilanzen nur peripher wieder zu finden sein“, weiß Neuroth. Bei einem durchschnittlichen Eigenanteil der Kunden von 20 bis 30 DM im Monat im ersten Jahr macht Riester 2002 einen Umsatz von 450 Mio. DM aus. „Der entscheidende Wachstumseffekt kommt ab 2008“, erwartet er. Ende 2009 will Ergo 1 Mrd. Euro erreicht haben. Bei einem Umsatz in Leben von jetzt gut 5,4 Mrd. Euro hätte der Konzern also 20 Prozent nur aus diesem Geschäftsfeld hinzugewonnen. „Die Zukunft der Lebensversicherer besteht aus Riester, klassischer Rentenversicherung und Berufsunfähigkeitspolicen“, glaubt Neuroth.
Die Ergo will bis Ende 2002 1,5 Millionen bis 2 Millionen Riester-Policen verkaufen – mehr als Marktführer Allianz, der 1,25 Millionen Policen anstrebt. „Wer bis dahin sein Feld nicht bestellt hat, wird sich schwer tun.“ Schnell sei der Markt gesättigt. „Unser Hauptwettbewerber sind nicht die anderen Versicherer, sondern der Konsum“, sagte Neuroth.
Die Victoria will sich auch das interessante Firmengeschäft nicht entgehen lassen. „Wir haben bereits unsere Firmenkunden ausgewählt“, berichtet Victoria-Direktor Günther Knortz. Fachleute der Gesellschaft werden sich in einer „Spezialattacke“ an sie wenden, um das Direktversicherungsgeschäft abzugreifen. Langfristig will die Victoria auch in das Pensionsfonds-Geschäft einsteigen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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