Allianz und Gerling planen Preiserhöhungen von über 50 Prozent – Millionenschäden nehmen drastisch zu. Von Herbert Fromme, Düsseldorf
Die Verwüstungsorgie dauerte fünf Stunden. In der Nacht zum 6. Juli drang ein Mann in die Wellpappenfabrik Kappa Herzberg im Harz ein und überwältigte den Wachmann. Mit schweren Gabelstaplern zerstörte er in Amokfahrten teure Spezialmaschinen. Verdächtigt wird ein früherer Mitarbeiter, seit Wochen in psychiatrischer Behandlung. Die Versicherer schätzen ihren Schaden auf 45 Mio. DM.
„In diesem Jahr sind die Millionenschäden wie eine Seuche“, sagte Gerling-Vorstand Leo Zagel nach einer Sitzung des Fachausschusses Feuer-Industrie-Sach des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Bei den Industrieversicherern stärkt die Schadenwelle die Absicht, bei der Wirtschaft auf deutliche Preiserhöhungen zu dringen. Die führenden Anbieter wollen in den anstehenden Verhandlungen die Raten um 50 bis 60 Prozent anheben. „Der Markt braucht mindestens 1 Mrd. DM mehr aus diesem Geschäft“, sagte Jürgen Hoffmann, Vorstand bei der Württembergischen Versicherungsgruppe.
Die Branche leidet unter einem starken Verfall der Prämieneinnahmen. „Im Jahr 1995 hat der Markt aus industrieller Feuerversicherung und Betriebsunterbrechung Prämien von 4,2 Mrd. DM eingenommen, in 2000 waren es nur noch 2 Mrd. DM“, klagt Horst Döring, Chef der Victoria-Versicherung, die zur Ergo und damit zur Münchener Rück gehört. Einiges von dem Rückgang geht zwar auf den Wechsel in andere Deckungsformen zurück. Aber selbst wenn die verwandten Sachversicherungsbereiche hinzugezählt werden, sind die Einnahmen im Industriegeschäft über sechs Jahre von 4,8 Mrd. DM auf 3,4 Mrd. DM geschrumpft. „Gleichzeitig ist unsere Haftung größer geworden. Die Werte sind gestiegen, der Versicherungsumfang auch“, sagte Döring. Die Industrie musste 1994 pro 100 DM Versicherungssumme 92 Pfennig Beitrag zahlen. Heute liegt der Preis bei 48 Pfennig, hat die General Cologne Re ausgerechnet.
Die Konsequenz: Die Industrieversicherung steckt tief in den roten Zahlen. Für das Jahr 2000 erwarten die Unternehmen ein Defizit von 500Mio. DM allein aus Feuer und Betriebsunterbrechung, in 1999 waren es 575 Mio. DM. „2001 wird noch nicht besser“, glaubt Döring. Zwar seien die Prämieneinnahmen inzwischen wenigstens stabil. Aber die Schadenbelastung werde 2001 deutlich über 2000 liegen.
Axel Theis, seit dem 1. Juni bei der Allianz für das deutsche Industriegeschäft verantwortlich, will Preiserhöhungen von durchschnittlich 50 Prozent durchsetzen, „differenziert nach der Qualität des Geschäfts“. Sein Kollege Leo Zagel von der Gerling-Gruppe zielt sogar auf 60 Prozent. Auch Egon Stabenow, Vorstand bei der Provinzial Kiel und Vorsitzender des GDV-Fachausschusses, ist überzeugt, dass Preiserhöhungen von deutlich über 50 Prozent bei vielen Risiken nötig sind.
Der Markt sei aus einer Reihe von Gründen heruntergewirtschaftet, sagte Theis. Scharfer Wettbewerb, der Kampf um „Prestigekunden“ und die Hoffnung auf Gewinn bringendes Zusatzgeschäft kamen zusammen mit der Konzentration bei den Großmaklern. Das erhöhte deren Einkaufsmacht beträchtlich.
Einige Gesellschaften wie die Mannheimer haben den Markt bereits verlassen. Die Manager bei den anderen kommen unter Rechtfertigungsdruck. „Im Allianz-Konzern bekommt jede Einheit Eigenkapital zugeteilt, für das sie eine Rendite erwirtschaften muss. Wenn wir das nicht tun, müssen wir uns Fragen gefallen lassen“, sagte Theis. In drei Jahren will die Allianz das Geschäft in die schwarzen Zahlen gedreht haben. Dafür wurde auch die Struktur geändert, die neue Allianz Global Risk ist künftig weltweit für alle Kunden mit mehr als 500 Mio. Euro Umsatz zuständig.
Auch der Markt-Zweite Gerling will so schnell wie möglich aus der Verlustzone herauskommen. Vorstand Zagel erwartet eine weitere Konzentration. Schon jetzt könnten nur zehn bis 15 Versicherer Risiken mit einer Höchstschadensumme, in der Fachsprache „Possible Maximum Loss“ (PML) genannt, von über 100Mio.DM versichern. Risiken mit PMLs von über 500 Mio. DM zeichnen nur fünf Gesellschaften. „Aber es gibt Risiken mit PMLs von 4 Mrd. DM und mehr, etwa DaimlerChrysler oder Infineon.“
Hoffmann, von der mittelgroßen Württembergischen, steht ebenfalls unter Erfolgsdruck. „Wenn wir noch lange rote Zahlen schreiben, müsste ich mir überlegen, ob unsere Gesellschaft diesen Markt nicht besser verlässt.“ Für Döring von der Victoria ist das keine Alternative: Die Ergo-Gruppe erzielt rund 26 Prozent der Einnahmen in der Sachversicherung mit Industrie-und Gewerbekunden. „Das geben wir nicht auf.“ Insgesamt mache die Victoria in diesem Feld keinen Verlust, wenn auch einzelne Sparten wie die Speditionsversicherung sie arg beuteln. Aber die Gewinne seien – verglichen mit dem Privatkundengeschäft – sehr gering. Deshalb sei die Sanierung dringend geboten.
Quelle: Financial Times Deutschland
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