Action Beunruhigende Zahlen förderte eine neue Untersuchung der Versicherungsanalysten von WestLB Panmure zu Tage. Die deutsche Wirtschaft bekommt mittelfristig große Probleme mit ihren Betriebsrentenzusagen an die Arbeitnehmer, glauben sie. „Die Pensionsrückstellungen der deutschen Unternehmen belaufen sich auf rund 250 Mrd. Euro „, erläutert Carsten Zielke, Chefanalyst Versicherungen bei der West LB. „Davon sind aber nur 50 Prozent in der einen oder anderen Form kapitalgedeckt.“ Die andere Hälfte von 125 Mrd. Euro wurde von den Unternehmen in den eigenen Betrieben investiert. Genau da sieht Zielke die Probleme.
Die so genannte Direktzusage durch Unternehmen ist immer noch die wichtigste Form der betrieblichen Altersvorsorge. 1999 entfielen darauf 59 Prozent, hat das deutsche Institut für Altersvorsorge herausgefunden. Dabei verpflichtet sich der Arbeitgeber, dem Mitarbeiter bei Erreichen des Rentenalters, aber auch bei Invalidität eine Rente zu zahlen, im Todesfall an die Hinterbliebenen. Die Zahlung erfolgt direkt aus dem Firmenvermögen. Um für diese späteren Auszahlungen gewappnet zu sein, muss das Unternehmen Pensionsrückstellungen bilden. Das gibt ihm den Vorteil zusätzlicher liquider Mittel. Für die Zeit des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg werden diese Rückstellungen gerne als „Motor des Wachstums“ gepriesen.
„Selbst wenn diese Rückstellungen mit sechs Prozent verzinst werden, wie im Gesetz verlangt, handelt es sich eigentlich um ein Umlageverfahren“, argumentiert dagegen Zielke. „Die aktuell Beschäftigten müssen die Rente der früher Beschäftigten erwirtschaften.“ Hier aber werde die Wirtschaft über kurz oder lang die selben demografischen Probleme erleben wie die Gesellschaft als ganzes bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Zuwanderung könne das Problem nicht lösen, schließlich wollten die jungen Zuwanderer nicht die Altlastenübernehmen.
Auch Michael Freisberg, Partner der Managementberatung Tillinghast Towers Perrin, sieht Probleme bei der beliebten Finanzierung des eigenen Unternehmens durch Pensionsrückstellungen, auch wenn sie steuerfrei aufgebaut werden.
Denn der Finanzierungsvorteil verringert sich, sobald Pensionszusagen eingelöst werden müssen und dafür die Rückstellungen abschmelzen – und dann auch steuerlich berücksichtigt werden.
Viele Betriebe sehen sich dann mit zwei Problemen konfrontiert. Zum einen steht den Rückstellungen auf der Passivseite der Bilanz keine klar abgegrenzte Vermögensposition auf der Aktivseite gegenüber, die in entsprechender Höhe aufgelöst werden könnte, um die Betriebsrenten zu zahlen. „Es fehlt an Liquidität, um das Pensionsversprechen einzulösen“, sagt Berater Freisberg. Zum anderen sind sie oft viel zu niedrig. Denn bei der Höhe der Rückstellung ließen sich die Firmen in der Vergangenheit oft von den Regeln des Einkommenssteuergesetzes leiten, nicht von den versicherungsmathematisch berechenbaren Notwendigkeiten wie Lebenserwartung, Invaliditätsrisiko oder Einkommensentwicklung. Das deutsche Steuerrecht lässt lediglich den Faktor Verzinsung bei der Berechnung des Wertes der Pensionszusagen zu.
Das Problem wird schon dann virulent, wenn ein Unternehmen vom deutschen Handelsgesetzbuch auf die Bilanzierung nach internationalen Rechnungslegungsstandards umstellt. Denn da muss es möglichst realistische Annahmen über die Höhe der Zahlungsverpflichtungen treffen. Mit der Umstellung geht deshalb oft ein erheblicher Anstieg der Rückstellungen einher – der erst einmal finanziert werden muss. Beispiel Schering: Als das Unternehmen 1994 auf die International Accounting Standards (IAS) umstellte, entstand ein außerordentlicher Aufwand von 125 Mio. DM, eine Steigerung der Pensionsrückstellungen um acht Prozent. Kein Wunder, dass angelsächsische Analysen die entsprechenden Rückstellungen deutscher Unternehmen meistens für zu niedrig halten.
Große Unternehmen erkennen inzwischen die Probleme – sogar im staatlichen Bereich. So hat der LBK Hamburg, größter Krankenhausbetreiber der Republik, seine Betriebsrenten für neue Mitarbeiter per Vertrag mit der Volksfürsorge privatisiert. Auch Autohersteller Volkswagen deckt neue Betriebsrentenansprüche künftig über einen Pensionsfonds ab.
Zielke hält solche Umstellungen für dringend nötig. Das Problem sei auch nicht über den Pensionssicherungsverein (PSV) zu lösen, eine 1974 gegründete Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft. Der PSV sorgt dafür, dass bei der Insolvenzeines Unternehmens die Mitarbeiter zumindest einen Teil der Betriebsrente erhalten. „Der PSV funktioniert nur bei Einzelfällen, nicht bei einem generellen Problem“, sagt Zielke.
Der PSV hat 39778 Mitgliedsunternehmen, die im Jahr 2000 rund 860 Mio. DM einzahlten. Die Höhe der geleisteten Zahlungen zeigt die nur mäßige Bedeutung der betrieblichen Vorsorge in Deutschland: Die 320000 Rentenempfänger, für die die PSV verantwortlich ist, erhalten im Durchschnitt gerade 206 DM monatlich. Zu den spektakulärsten Unternehmenszusammenbrüchen gehörte der Kollaps der AEG im Jahr 1982, er kostete den PSV 1,4 Mrd. DM.
Freisberg von Towers Perrin ist skeptischer als Zielke, was die Umstellung auf Pensionsfonds angeht. „Nötig ist das nicht“, findet er. Pensionsrückstellungen seien für ein gesundes Unternehmen nicht das schlechteste. Er sieht ein anderes Problem: „Die Unternehmen müssen sich klar machen, welche Ziele sie mit der betrieblichen Altersvorsorge verfolgen.“ Vielfach laufe das Angebot einfach weiter, weil es schon immer da gewesen sei. Auf die so definierten Ziele müsse sich die Firma dann einstellen, in der Personalpolitik genauso wie im Rechnungswesen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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