Von Herbert Fromme Die Bilanzexperten in den Finanzabteilungen der Versicherer und Rückversicherer sind nicht zu beneiden. Selten war es so schwer für sie, das geschäftspolitisch gewünschte Jahresergebnis für ihre Unternehmen darzustellen. Der Hauptgrund ist der Rückgang der Aktienkurse, der die meisten Versicherer auch nach der relativen Erholung der Börsen in den letzten Wochen immer noch spürbar trifft.
Die Auswirkungen werden von vielen in der Branche immer noch unterschätzt. Die Kapitalmarktschwäche wird wahrscheinlich der auslösende Faktor für die langerwartete Konsolidierung des deutschen Versicherungsmarktes sein.
Auf Druck der EU hatte auch Deutschland 1994 seinen Versicherungsmarkt liberalisiert – gegen den heftigen Widerstand der Assekuranz. Gar zu angenehm war das Leben mit staatlich festgesetzten Preisen in Kernsparten wie Auto-oder Lebensversicherung und den entsprechenden garantierten Gewinnen. In diesen Zeiten war Volumen alles – weil die Gewinnmarge feststand, bedeutete mehr Umsatz mehr Gewinn. Entsprechend aufgebläht wurden die Vertriebe, und entsprechend viele erfolgreiche Vertriebsleute finden sich heute in Vorständen.
Auch nach 1994 hatten sie nur die Umsatzzahlen im Blick. Um den Ertrag aus dem eigentlichen Versicherungsgeschäft und die Kosten kümmerte man sich wenig. Die echten Kostensätze in der deutschen Schaden-und Unfallversicherung liegen bei rund 40 Prozent der Beitragseinnahmen. Der Drang nach Volumen zeitigte merkwürdige Folgen. Seit 1996 gibt es etwa in der Autoversicherung einen beinahe absurden Rabattkrieg mit Kriterien, die kaum noch nachvollziehbar sind. Geld verdient hat kaum jemand.
In der Lebensversicherung geht es ähnlich zu: Weil das Hauptverkaufsargument der Vertreter die Überschussbeteiligung für das Deckungskapital der Kunden ist, muss diese Rendite bei über sechs oder sogar sieben Prozent liegen – auch wenn die Versicherer in Zeiten niedriger Zinsen und schwacher Börsen diese Werte mit ihrer normalen Anlagetätigkeit kaum erwirtschaften konnten.
Möglich war das alles nur, weil die Assekuranz massiv stille Reserven aufgelöst hat. Meistens verkauften die Versicherer Aktien, deren Marktwert über dem Anschaffungspreis lag. Auch ältere Namensschuldverschreibungen, die wegen der gesunkenen Zinsen heute mehr wert sind als bei der Ausgabe, kommen zum Verkauf.
Die Branche hat einen erheblichen Teil ihres Tafelsilbers verfrühstückt. Damit ist jetzt Schluss. Der Preisverfall an den Börsen hat diese Möglichkeit genommen. Vieles ist schon verkauft, was noch da ist, hat an Wert verloren. Zahlreiche Gesellschaften haben kaum noch stille Reserven, die sie auflösen könnten. Selbst Versicherer, die offiziell noch drei oder vier Prozent stille Reserven auf ihre Kapitalanlagen ausweisen, sind in Not. Denn die bestehen meistens aus kaum veräußerbaren Immobilien. Gleichzeitig sind gerade die Lebensversicherer unter den Druck ihrer Vertriebe geraten, im Jahr eins der Riester-Rente hohe Gewinnbeteiligungen für die Kunden auszuweisen.
Die Folge: Mehr und mehr Versicherer sehen sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen um. Jahrelang war der Leidensdruck nicht groß genug, um die Selbstständigkeit und das unabhängige Leben zum Beispiel als Vorstand eines kaum kontrollierten Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit aufzugeben. Das ändert sich gerade: Jeder spricht mit jedem, Lösungen werden gesucht, Modelle gebaut. Die Gegenseitigkeitsvereine gewöhnen sich an den Gedanken, mit Zwischenholding-Modellen das Andocken von Partnern zu ermöglichen und den Zugang zum Kapitalmarkt zu gewinnen. Die öffentlich-rechtlichen Versicherer, die zu den Sparkassen gehören, wissen genau, dass sie endlich größere Strukturen schaffen müssen, wenn sie erfolgreich überleben wollen.
Zurzeit gibt es mehr als 700 Versicherer unter Bundesaufsicht, mehr als tausend Kleinstgesellschaften unter Aufsicht der Länder. Eine drastische und rasche Reduzierung dieser Zahl ist wahrscheinlich – über Zusammenschlüsse, Aufkäufe und Notübernahmen, die geräuschlos vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen arrangiert werden.
Die Marktführer, vor allem Allianz und Münchener Rück/Ergo, können dabei ruhig zusehen. Sie sind nicht in Not. Zwar leiden auch sie unter dem Verfall der Kurse, aber die Steuerreform – vor allem die Möglichkeit des steuerfreien Verkaufs von Anteilen und Beteiligungen ab 2002 – spült ihnen schon jetzt Milliarden in die Kassen. Die kleinen Versicherer profitieren deutlich weniger. Die Großen müssen einfach warten, bis sie Marktanteile gewinnen – und können sich dabei oft noch als Vertreter der Kundeninteressen bei der Übernahme notleidender Gesellschaften feiern lassen.
Zitat:
“ Versicherer sehen sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen um“.
Quelle: Financial Times Deutschland
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