Von Herbert Fromme, München Ausgerechnet der erwartete Rekordgewinn von rund 6 Mrd. Euro für das laufende Jahr könnte der Münchener Rück, dem größten Rückversicherer der Welt, ihre langfristige Geschäftspolitik verhageln. Dass die Gesellschaft einen gigantischen Überschuss vorlegen wird, ist jetzt schon klar – rund 4,7 Mrd. Euro sind als steuerfreier Gewinn aus dem Verkauf von Aktien fest eingeplant. Das Geld stammt vor allem aus dem Beteiligungstausch der Münchener Rück mit der Allianz und der Anteilsreduzierung bei der langjährigen Schwestergesellschaft, an der sie lange Zeit 25 Prozent hielt und jetzt nur noch 19,3 Prozent besitzt. Rund 3,8 Mrd. Euro Sondererträge gingen in das Ergebnis des ersten Quartals 2002 ein, das mit stolzen 4,5 Mrd. Euro Gewinn verglichen mit 0,8 Mrd. Euro im Vergleichsquartal 2001 endete.
Gleichzeitig verlangt die Münchener Rück von ihren Kunden, den Erstversicherern, saftige Preiserhöhungen. Konzernchef Hans-Jürgen Schinzler ist der Meinung, dass diese Erhöhungen vollständig berechtigt sind. Durch Großschäden wie bei den Anschlägen in New York am 11. September 2001 oder den Pharmaschaden Lipobay bei dem Chemiekonzern Bayer sowie durch die Verluste an den Aktienmärkten „verlor die internationale Versicherungswirtschaft mehr als 100 Mrd. Euro an Substanz“, argumentiert Schinzler.
„Wir müssen unseren Kunden erklären, dass die Sonderfaktoren nichts zu tun haben mit unserem operativen Gewinn.“ Der Gewinn aus dem operativen Geschäft soll im laufenden Jahr 2001 deutlich über den 1,4 Mrd. Euro liegen, die das Unternehmen 2000 in seinem eigentlichen Geschäft ohne Sonderfaktoren verbuchte.
Das Ausnahmejahr 2001 will Schinzler nicht zum Vergleich heranziehen. Die Münchener Rück habe das „Annus horribilis“ noch vergleichsweise glimpflich überstanden, weil sie sowohl im Rückversicherungs-als auch im Erstversicherungsbereich (über die Tochter Ergo) tätig ist. Aber auch ihr Gewinn fiel von 1,75 Mrd. Euro in 2000 auf 250 Mio. Euro im vergangenen Jahr. Selbst dieser bescheidene Ertrag war nur möglich, weil der Konzern 2001 positive Sondereffekte von 830 Mio. Euro aus der Unternehmenssteuerreform und der zeitnäheren Bewertung seiner Allianz-Aktien verbuchen konnte.
Seit einigen Monaten geht es wieder aufwärts. Im ersten Quartal konnte die Münchener Rück die Prämieneinnahmen in der Rückversicherung um 38 Prozent erhöhen – einerseits wegen eines neuen Großabschlusses mit der Royal Sun Alliance in Großbritannien, andererseits wegen der höheren Preise.
Gleichzeitig blieb die Schadenentwicklung ruhig. Resultat: eine sensationell niedrige Schaden/Kostenquote von 101,7 Prozent in der Rückversicherung. Sie drückt das Verhältnis von Schadenaufwand plus Kosten an den Beitragseinnahmen aus. Im Gesamtjahr 2001 lag diese Quote bei stolzen 135,1 Prozent, das heißt 35 Cent Verlust auf jeden Prämien-Euro.
Problematisch bleibt das US-Geschäft. Die Tochter American Re wies auch ohne den 11. September 2001 erneut ein Defizit auf. Inzwischen hat Schinzler das Topmanagement ausgewechselt. Nachdem die American Re 2001 eine massive Stärkung der Reserven für Haftpflichtgeschäft aus den Jahren 1997 bis 2000 benötigte und die Mutter mindestens 1 Mrd. $ einschießen musste, will die Zentrale jetzt auf Nummer sicher gehen: Zusammen mit dem neuen Management soll das gesamte Geschäft noch einmal durchkämmt werden, um böse Überraschungen zu vermeiden. Möglicherweise muss die Mutter dann noch einmal mit frischem Geld helfen.
Vorsichtig geht die Münchener Rück an die Umstrukturierung ihres arg verschachtelten Konzerns heran: Die Victoria Rück, die der Rückversicherungskonzern bei der Übernahme der Mehrheit an der Victoria-Gruppe erbte, wird geschlossen, das Geschäft von 377 Mio. Euro Prämie zum Teil auf die Mutter übertragen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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