Von Herbert Fromme Deutsche Versicherungsmanager lernen plötzlich Begriffe, die ihrem Berufsstand jahrzehntelang fremd waren. Entlassung und Arbeitslosigkeit, zum Beispiel, waren für den Vorstand eines deutschen Assekuranzunternehmens undenkbar. Jetzt wird die Liste der beschäftigungslosen Versicherungsvorstände fast täglich länger.
Erprobte Verkäufer im Industrie-und Gewerbegeschäft, deren Know-how über alle Einzelheiten der dicken Tarifbücher nur durch ihre Kenntnisse über die Bewirtungsmöglichkeiten in teuren Restaurants deutscher Großstädte übertroffen wird, müssen sich inquisitorischen Befragungen durch smarte junge Männer und Frauen aus dem Controlling stellen. Dabei wird ihnen mitgeteilt, dass sie ihrem Unternehmen schon seit Jahren kein Geld bringen, sondern nur kosten.
Das Wort Verlust erhält eine ganz neue Bedeutung. Plötzlich gibt es Firmen, die unterm Strich in den roten Zahlen sind. Bisher kannte die Branche nur technische Verluste: Versicherer gaben mehr für Schäden und Kosten aus, als sie an Prämien einnahmen, konnten das aber mit hohen Erträgen aus ihren gigantischen Kapitalanlagen komfortabel ausgleichen und sogar noch ordentliche Gewinne einfahren.
Kein Zweifel: Die deutsche Assekuranz wird langsam eine ganz normale Branche. Jahrzehntelang hatte ein staatlich geregelter Markt für ein kuscheliges Quasi-Kartell gesorgt, das Gewinne garantierte. Seit 1994 ist der Markt dereguliert, aber bis 2001 konnten die Unternehmen wegen der hohen Gewinne aus Aktien so weiter machen wie vorher.
Jetzt ist damit Schluss. Dafür hat das Ende des Aktienbooms gesorgt. Noch viel mehr als die Schäden aus dem Überfall vom 11. September auf das World Trade Center (WTC) macht der Branche der steile Absturz der Börsen zu schaffen. Die Swiss Re hat berechnet, dass die Schäden aus dem World Trade Center die Versicherer weltweit rund 50 Mrd. $ kosten. Die Verluste an den Aktienbörsen in den Monaten danach schlugen mit 53 Mrd. $ zu Buche.
Verglichen mit den Banken scheint es der Assekuranz noch gut zu gehen. Ihr Umsatz stieg im Jahr 2001 um satte 2,8 Prozent auf 136 Mrd. Euro, in diesem Jahr sollen es sogar vier Prozent mehr werden. Von Entlassungswellen ist selten die Rede. Und die Marktführer Allianz und Münchener Rück haben für 2001 trotz des Anschlags auf das WTC hohe Gewinne gezeigt, für 2002 sagen sie zuversichtlich ein weiteres kräftiges Gewinnwachstum vorher.
Aber dieser Eindruck täuscht. Denn die hohen Gewinne der beiden Schwesterunternehmen in der Münchener Königinstraße stammen vor allem aus der Reduzierung ihrer gegenseitigen Beteiligungen im Zuge der Übernahme der Dresdner Bank durch die Allianz. Die Münchener Rück erwartet für 2002 rund 6 Mrd. Euro Überschuss, davon sind 4,7 Mrd. Euro aus dem steuerfreien Verkauf von Aktien fest eingeplant. Auch die Allianz hat an Aktienverkäufen gut verdient. Allein die Reduzierung des Anteils an der Münchener Rück spülte 1,3 Mrd. Euro in die Kassen.
Es wäre eine grobe Fehleinschätzung, diese Ergebnisse mit der Lage der Branche gleichzusetzen. Die meisten Versicherer haben solch großzügige Ausgleichsmöglichkeiten schon lange nicht mehr. Die Gerling-Gruppe benötigte 810 Mio. Euro an frischem Geld von ihren Aktionären Rolf Gerling und Deutsche Bank, um die Verluste aus der Rückversicherung in 2001 auszugleichen. Weil Mehrheitsaktionär Rolf Gerling (65,5 Prozent) dabei nicht mithalten konnte, musste er dem Verkauf der gesamten Gruppe zustimmen.
Während die Gerling-Verluste vor allem aus Schäden im Rückversicherungsgeschäft stammen, machen sich viele andere Vorstände zurzeit Sorgen um die angeblich so risikolose Lebensversicherung.
Um im Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, weisen fast alle ihren Kunden auf das Sparkapital mehr als sechs Prozent Zinsen zu. Tatsächlich erzielen die meisten deutlich niedrigere Zinsen. Die Differenz haben sie in den letzten Jahren durch den Verkauf von Aktien erwirtschaftet.
Statt eines Ertrags mussten die 20 größten deutschen Lebensversicherer 2001 im Schnitt ein Minus von zwei bis drei Prozent des Marktwertes ihrer Kapitalanlagen hinnehmen, ergab eine Untersuchung von Arthur Andersen und der Gothaer Asset Management. Um den Kunden trotzdem mehr als sechs Prozent zu zahlen, mussten viele Gesellschaften ihre stillen Reserven weitgehend abschmelzen – das können sie in diesem Jahr nicht wiederholen. „2002 wird das eigentlich schwierige Jahr“, glaubt Sönke Papenhausen, Chef der Gothaer Asset Management. Selbst wenn der Dax sich erholen sollte, haben viele Lebensversicherer kaum noch Aktien zum verkaufen. Bleibt der Dax unter 5000 Punkten, müssen viele Unternehmen nicht nur die Gewinnbeteiligungen für ihre Kunden zurücknehmen: Sie werden sogar Schwierigkeiten haben, die für 2002 schon verbindlich gemachten Zusagen einzuhalten.
Diese Entwicklung kommt für die Lebensversicherer zu einem besonders unpassenden Zeitpunkt. Denn die Einführung der Riester-Rente, ursprünglich als Riesengeschäft bejubelt, entwickelt sich viel schlechter als erwartet. Die Investitionen in Verwaltung, EDV und Vertrieb sind hoch, die Erträge dürften frühestens in sieben bis acht Jahren eingefahren werden.
Diesen Druck spüren auch Vertriebe wie MLP und AWD. Viele Lebensversicherer sind kurzfristig froh, starke Verkaufstruppen anzuwerben, die für sie das benötigte Volumen hereinbringen. Andererseits müssen die Versicherer auf ihre Kosten achten – und können sich möglicherweise langfristig sehr teure Verkaufskanäle nicht leisten. Der Absturz der MLP-Aktie im Gefolge eines Berichts über eine angeblich unsaubere Bilanzierungspraxis hat viel mehr mit grundlegenden Zweifeln der Anleger am Geschäftsmodell MLP zu tun als mit dem Auslöser.
Bessere Nachrichten kommen da aus einem Segment, das viele Unternehmen lange zu Gunsten der angeblich ertragreicheren Personenversicherungen (Leben und Kranken) vernachlässigt haben. In der Schaden-und Unfallversicherung verdienen die Konzerne gutes Geld. Das gilt vor allem für die Autoversicherung, in der sie von Preiserhöhungen und der gleichzeitig weiter sinkenden Schadenhäufigkeit profitieren.
Die Marktwirklichkeit zwingt viele Versicherer, sich wieder ihrer Herkunft zu besinnen: Ursprünglich waren sie vor allem da, um Risiken zu übernehmen. In den letzten Jahren wollten sie lieber Vermögenssammelstellen und Asset Manager sein. Geld aber verdienen sie vor allem immer noch mit der ersten Tätigkeit.
Zitat:
„2002 wird das eigentlich schwierige Jahr“ – Papenhausen, Gothaer Asset Management
„Die Aktienflaute kostet die Branche mehr als der World-Trade-Center-Schaden „
Quelle: Financial Times Deutschland
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