Assekuranz kommt Börsenausflug teuer zu stehen

FTD-Serie / Teil 1: Versicherer haben sich am Aktienmarkt die Finger verbrannt und werden nicht sobald wieder einsteigen / Die deutschen Lebensversicherer haben allein 2002 rund 50 Mrd. Euro an den Börsen verloren, zum größten Teil Gelder ihrer Kunden. In den vergangenen drei Jahren waren es mehr als 100 Mrd. Euro. Davon sind rund 20 Mrd. Euro noch nicht bilanziell verdaut. Die quälen die Branche weiter heftig, denn das Kapital, das die Gesellschaften zur Auszahlung an ihre Kunden brauchen, ist angegriffen. Nach ihren schlechten Erfahrungen dürfte die Assekuranz in den nächsten Jahren an den Börsen keine bedeutende Rolle mehr spielen.

Von Herbert Fromme, Köln Hans Ufer, Vorstand der zur Münchener Rück gehörenden Ergo-Gruppe, hatte ein dringendes Anliegen. Beim Pressekolloquium des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am 28. Februar 2000 plädierte Ufer im Namen des Verbandes für eine Lockerung der staatlichen Anlagevorschriften für die Assekuranz.

„Derzeit werden die Anlagemöglichkeiten durch eine Reihe von Restriktionen eingeschränkt“, sagte Ufer, Mitglied des GDV-Ausschusses für Kapitalanlagen. „Ein Beispiel ist die Begrenzung der Anlage in Aktien auf maximal 30 Prozent.“ Feste Grenzen seien nicht richtig. „Die maximale Aktienquote soll künftig davon abhängen, wie professionell ein Unternehmen seine Anlagen managt“, sagte Ufer.

Die Assekuranzmanager lassen sich heute ungern daran erinnern, dass sie die Beschränkung auf 30 Prozent – inzwischen 35 Prozent – aufheben wollten. Kurz nach Ufers Vortrag begann der seither andauernde Verfall der Aktienmärkte. Er traf die Versicherer trotz der Einschränkung des Aktienbesitzes katastrophal. Nach Berechnungen des Beratungsunternehmens McKinsey mussten die deutschen Lebensversicherer allein 2002 einen Wertverlust von 40 bis 50 Mrd. Euro bei Aktien hinnehmen.

Der renommierte Branchendienst map-report kommt zu ähnlich erschreckenden Zahlen. „In den drei vergangenen Jahren beläuft sich der geschätzte Gesamtschaden auf 103,8 Mrd. Euro“, schreibt Herausgeber Manfred Poweleit. Zum Vergleich: Die gesamten Eigenmittel der Lebensversicherer belaufen sich auf gerade einmal 23 Mrd. Euro.

Die Versicherten müssen trotz der schlechten Zahlen nicht gleich um ihre Auszahlungen fürchten. Doch die lukrativen Überschussbeteiligungen der Vergangenheit kann die Branche nicht länger bieten. Sie sitzt in der Klemme: Sie darf bei ihren Anlageentscheidungen kein zu hohes Risiko eingehen, muss aber trotz der desolaten Lage an den Börsen eine möglichst hohe Rendite erzielen.

Inzwischen haben die Versicherer das Büßerhemd übergestreift. Keine Pressekonferenz, bei der nicht auf die stark abgesenkte Aktienquote hingewiesen wird, auf Absicherungsmaßnahmen für das noch bestehende Portefeuille und auf die Absicht, noch stärker aus dem volatilen Aktienmarkt auszusteigen. „Inzwischen haben wir den Wettbewerb, wer als erster die Aktienquote null erreicht“, spottet Axa-Chef Claus-Michael Dill. „Das ist genauso unsinnig wie früher der Wettbewerb, wer als erster 35 Prozent hat.“

Jahrzehntelang hatten sich die deutschen Lebensversicherer bei Aktien zurückgehalten. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit dem Verfall der Zinsen auf festverzinsliche Anlagen.

Gleichzeitig verschärfte die Öffnung des Versicherungsmarkts den Wettbewerb. Mittlere Unternehmen glaubten, ihren Kunden hohe Überschussbeteiligungen von mehr als acht Prozent gutschreiben zu müssen, um gegen Aktienfonds und die große Konkurrenz wie die Allianz bestehen zu können. Hinzu kam die allgemeine Börsenbegeisterung. Der anhaltende Aufwärtstrend stand für schnelle Gewinne.

Als die Märkte zusammenbrachen, waren es wieder die Versicherer, die den Trend trieben. Auch als sie in großem Stil verkauften – das erste Mal Ende 2001 – gab es kaum noch ein Halten. Auch eine Gesetzesänderung zur Bilanzentlastung half nicht – die Branche lud in großem Stil Aktien ab.

Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Trend, Aktien den Rücken zu kehren, bald dreht. Dafür gibt es mindestens vier Gründe. Der erste ist die strikte Aufsicht über die Versicherer durch die Finanzaufsicht BaFin. Sie verlangt, dass Unternehmen jederzeit die Ansprüche ihrer Kunden kapitalmäßig bedeckt haben müssen.

Daneben machen auch die Rating-Agenturen Druck. Bei hohen Aktienbeständen dringen sie auf eine entsprechende Eigenkapitalausstattung, um das Risiko abzufedern. Die ist in der Regel teuer. Schon deshalb reduzieren viele börsennotierte Versicherer ihr Engagement.

Drittens ist die Branche mitten in einer politischen Schlacht – sie ist überzeugt, dass nur die private Altersvorsorge eine Lösung für die Probleme der gesetzlichen Rentenkassen bietet. Doch sie ist in Erklärungsnot: Warum sollen die Politiker die Altersrente einer Branche anvertrauen, die gerade 104 Mrd. Euro an den Börsen verloren hat? Werden die Versicherer erneut bei einem Aktiencrash empfindlich getroffen, sinkt ihr Einfluss weiter.

Schließlich: Der ursprüngliche Grund für die hohe Aktienquote, die Konkurrenzfähigkeit durch hohe Renditeversprechen, gilt nicht mehr. Die gesamte Branche hat im vergangenen Jahr die Überschussbeteiligungen teils drastisch gesenkt. Im Schnitt erhalten Kunden nur noch knapp über vier Prozent. Die Reaktion der Versicherten? Der Markt boomt. Fast alle Lebensversicherer melden Zuwächse beim Neugeschäft von deutlich über zehn Prozent. Und denken mittlerweile: Wenn es auch so klappt – warum dann die hohen Risiken mit Aktien eingehen?

Zitat:

„Wir haben den Wettbewerb, wer als Erster die Aktienquote null erreicht“ – Axa-Chef Claus-Michael Dill.

Quelle: Financial Times Deutschland

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