Kabinettsbeschluss könnte Assekuranz Milliarden kosten · Einzelnen Unternehmen droht Schieflage
Von Herbert Fromme, Köln Die deutschen Versicherer und ihr Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) haben gestern in Berlin eine herbe Niederlage erlitten. Das Bundeskabinett beschloss, Verluste aus Aktienfonds steuerrechtlich den Verlusten aus Aktien gleichzustellen, die Versicherer direkt halten.
Branchenkenner gehen nun davon aus, dass zahlreiche Unternehmen ihre Bilanzen für 2002 rückwirkend ändern müssen – vor allem solche, die in dem Jahr umfangreiche Abschreibungen auf Aktienfonds vorgenommen haben. Auf sie kommen höhere Steuerlasten zu, wenn das Gesetz in dieser Form Bundestag und Bundesrat passiert.
Nicht behandelt hat das Kabinett dagegen die geplante grundsätzliche Entlastung der Branche von der besonderen Steuerproblematik, die aus Verlusten mit Aktien herrührt, die Versicherungsunternehmen direkt halten. Die entsprechende Gesetzesänderung war zwar noch im Referentenentwurf enthalten, allerdings nicht mehr in der Kabinettsvorlage.
Bleibt es bei den Entscheidungen, muss die Versicherungswirtschaft 2003 mit einmaligen zusätzlichen Steuerlasten von deutlich über 5 Mrd. Euro rechnen, schätzen Experten. Dieser zusätzliche Aufwand dürfte manches Unternehmen in eine Schieflage bringen, heißt es. Der Grund: Bislang wurden Aktien in Spezialfonds – in denen viele Versicherer Kapitalanlagen halten – steuerrechtlich anders behandelt als solche Aktien, die sie direkt haben.
Mit der Gleichstellung greift nun auch für Aktienfonds die Mechanik, nach der Lebens-und Krankenversicherer umso mehr Steuern zahlen, je höher ihr Verlust aus direkt gehaltenen Aktien ist. Ein Lebensversicherer muss von seinen Kapitalerträgen mindestens 90 Prozent den Kunden zugute kommen lassen. Erleidet er Verluste aus Aktien, fällt die Zuweisung an die Kunden, die er nach Handelsrecht vornehmen muss, niedriger aus, ebenso sein Gewinn. Da in der Steuerbilanz der Verlust aus Aktien aber nicht berücksichtigt wird, wohl aber die niedrigere Zuführung an die Kunden, entsteht ein rechnerischer Gewinn. Die Lebensversicherer müssen noch 15 Mrd. Euro aufgeschobene Aktienabschreibungen nachholen. Nach heutigen Regeln würde das zu einem höheren Steueraufwand führen.
Der GDV glaubt, dass seine Argumente für eine Gesetzesänderung im Finanzministerium zumindest auf der Arbeitsebene Gehör gefunden haben und im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch eingearbeitet werden. Aus der politischen Spitze aber ist anderes zu hören. „Dort sagt man ganz klar, dass Eichel nicht auf die 5 oder 6 Mrd. Euro an zusätzlichen Einnahmen verzichten will“, sagte ein Versicherungsvorstand mit sehr guten Kontakten in Berlin. Unter den Mitgliedern des GDV wächst daher der Unmut über die Verhandlungstaktik ihres Verbandes. Dort sei man zu gutgläubig und hoffe auf Einsicht der Politik, heißt es.
Versicherer reagierten gestern empört auf die Berliner Beschlüsse. Möglicherweise beinhalteten sie eine verfassungsmäßig unzulässige Rückwirkung, sagte ein Sprecher des Marktführers Allianz Leben: „Dieses Ergebnis ist nicht nur absurd, sondern führt dazu, dass Lebensversicherer ein Interesse an möglichst hohen stillen Lasten in ihrer Bilanz entwickeln müssen. Es kann nicht richtig sein, dass von uns handelsrechtlich zeitnahe Abschreibungen verlangt werden, die aber steuerlich nicht anerkannt werden.“ Die Versicherer müssten ihr Engagement in Aktienfonds überprüfen. Eine Sprecherin des GDV sprach von einer „unvernünftigen Entscheidung“. Die Branche setze aber nach wie vor auf Zusagen der Regierung.
Zitat:
„Das Ergebnis ist absurd und führt zu einem Interesse an hohen stillen Lasten“ – Allianz-Sprecher
Bild(er):
Die für sie negative Steuergesetzgebung könnte einige Lebensversicherer zum Kentern bringen – FTD/Peter Raffelt; Matthias Kulka.
Quelle: Financial Times Deutschland
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