Wer fremde Felder mit gentechnisch veränderten Pollen verschmutzt, soll künftig dafür haften · Bauernverband rät von Anbau ab

Von Timm Krägenow, Berlin, und Herbert Fromme, Köln Die deutsche Landwirtschaft steht wegen der Einführung von Gentechnik-Pflanzen vor einer Flut von Schadenersatzklagen. Künftig sollen Landwirte haften, wenn ihre Gentechnik-Pollen auf das Nachbarfeld wehen und dort die Ernte eines ökologisch oder konventionell arbeitenden Landwirts verschmutzen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, auf den sich die Bundesregierung jetzt geeinigt hat.

„Mit dem Gesetz sichern wir die Möglichkeit, weiter ohne gentechnisch-veränderte Organismen zu produzieren“, sagte Agarministerin Renate Künast. „Damit erhalten wir die Wahlfreiheit von Produzenten und Verbrauchern.“ Es sei klar, dass in Zukunft auch in Deutschland Gentechnik-Pflanzen angebaut würden.

Die rot-grüne Regierung ist über den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft zerstritten. Sie hat sich deshalb nicht auf eine Grundsatzentscheidung für oder gegen die Technik einigen können. Stattdessen überlässt sie die Entscheidung den Gerichten: Die Haftungsregelung für Gentechnik-Anbauer wird deutlich verschärft. Der Deutsche Bauernverband riet als Reaktion auf den Entwurf allen Landwirten dringend vom Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ab. Der Anbau werde auf lange Sicht die Ausnahme bleiben.

Die EU-Kommission will in diesem Jahr den Zulassungsstopp für gentechnisch-veränderte Pflanzen aufheben und damit den Gentechnik-Anbau in Europa in Gang bringen. Die Kommission hatte den Mitgliedsstaaten weitgehende Freiheit gelassen, wie das Nebeneinander von gentechnikfreier und Biotech-Produktion geregelt werden soll.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass ein konventionell oder ökologisch arbeitender Landwirt einen benachbarten Gentechnik-Anbauer auf Schadenersatz verklagen kann, wenn in der eigenen Ernte Gentechnik-Bestandteile auftauchen. Kann die Ernte deshalb nicht mehr als „öko“ oder „garantiert gentechnik-frei“ verkauft werden, muss der Gentechnik-Bauer den Einnahmeausfall bezahlen. Kommen mehrere Bauern als Verursacher der Gentechnik-Verbreitung in Frage, müssen sie gemeinsam haften. Damit will die Bundesregierung die Beweislast der Geschädigten erleichtern. Künast sagte, die folgenden Prozesse könnten mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Dies sei aber besser als gar keine Regelung.

Damit wird das Haftungsrisiko für Gentechnik-Anbauer deutlich erhöht. Schon heute versuchen Haftpflichtversicherer, die Risiken durch gentechnisch-veränderte Pflanzen so weit wie möglich aus den Verträgen auszuklammern. Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die neue Regelung diesen Trend verstärkt.

Ein Sprecher des weltgrößten Rückversicherers Münchner Rück sagte, unter den geltenden Regeln gebe es keinen Bedarf für eine Haftungserweiterung. „Die Tatsache, dass die Haftung auf die Bauern ausgerichtet wird, zielt auf das schwächste Glied.“ Viele Landwirte könnten sich den möglicherweise teuren Versicherungsschutz nicht leisten. Schäden durch gentechnisch-veränderte Pflanzen seien schwer zu beziffern.

Landwirte haben künftig Anspruch auf detaillierte Auskunft, auf welchen Feldern ihre Nachbarn Gentechnik-Pflanzen anbauen. Die Anbauer der Gentech-Sorten müssen genaue Abstands- und Vorsichtsregelungen einhalten, um die Kontamination benachbarter Felder zu vermeiden.

Damit sollen auch Auskreuzungen der manipulierten Gene auf Wildpflanzen verhindert werden. Auch wenn sie diese Regeln einhalten, sind sie von Haftungsansprüchen nicht befreit. „Künast erlässt die Regelungen ohne jegliche praktische Erfahrungen mit diesem Anbau in Deutschland“, kritisierte Bauernverbands-Chef Gerd Sonnleitner. Mit dem jetzigen Gesetz würden Fakten für den Gentechnik-Anbau geschaffen, die eventuell später wieder korrigiert werden müssten. Ein vorheriger Feldversuch sei unverzichtbar, da es keine praktischen Erfahrungen in Deutschland mit der Koexistenz der verschiedenen Produktionssysteme gebe.

Künast riet den Landwirten, sich zu „gentechnikfreien Zonen“ zusammenzuschließen. Eine erste solche Zone mit fast 10 000 Hektar Anbaufläche hatten im November 15 Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern auf freiwilliger Basis vereinbart.

Der Gesetzentwurf soll morgen vom Kabinett beraten und möglichst bis zum Sommer beschlossen werden. Allerdings wird dafür die Zustimmung des Bundesrats benötigt, die nicht sicher ist. Unabhängig davon treten im April EU-Kennzeichnungspflichten für Lebensmittel in Kraft, die Gentechnik enthalten.

Zitat:

„Das ist besser als gar keine Regelung“ – Renate Künast, Verbraucherministerin

Bild(er):

Verbraucherschutzministerin Renate Künast führt strenge Haftungsregeln für Anbauer von Gentechnik-Pflanzen ein. Sie rät den Landwirten zu gentechnikfreien Zonen – ddp/Robert Michael

Quelle: Financial Times Deutschland

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