Fluglinien rufen wieder nach dem Staat

Luftfahrtversicherer wollen Terrorrisiken nicht mehr decken · „Ohne Staatshaftung droht Flugstillstand“

Von Herbert Fromme, Köln Die Lufthansa und andere europäische Fluggesellschaften drängen die EU-Regierungen, Staatshaftungen für Terrorismusschäden vorzubereiten. „Ohne Staatshaftung besteht die Möglichkeit, dass der Flugverkehr eingestellt werden muss, wenn die Versicherer wie angekündigt ihre Terrordeckung kündigen“, sagte Lufthansa-Versicherungschef Ralf Oelßner der FTD.

Die europäischen Staaten hafteten schon einmal vorübergehend, als nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 die Versicherer ihre Policen über Nacht kündigten. Nun haben diese angekündigt, ab 2005 bestimmte Risiken nicht mehr abzudecken. Dazu gehören atomare, biologische und chemische Stoffe, die in „feindlicher Absicht“ in Flugzeugen oder auf Flughäfen eingesetzt werden. Ebenso werden elektromagnetische Energieimpulse und so genannte Dirty Bombs genannt. Das sind Sprengkörper, die konventionell gezündet werden, aber verseuchtes Material weit streuen.

Schon bisher hatte die Assekuranz diese Risiken aus Standardverträgen ausgeschlossen, sie aber gegen Zahlung eines Zusatzbeitrags versichert. Jetzt ist den Versicherern das Risiko zu groß geworden. Sie fürchten, dass Terroristen beispielsweise ein Flugzeug mit chemischen Kampfstoffen beladen und über einer Großstadt explodieren lassen könnten. Das würde zu gigantischen Haftpflichtansprüchen führen. Ähnlich wie bei der Autohaftpflicht deckt die Luftfahrthaftpflicht alle Personenschäden an Passagieren und unbeteiligten Dritten ab, die durch das Flugzeug angerichtet wurden – auch wenn die Fluggesellschaft dafür nicht verantwortlich ist.

„Wir wollen diese Risiken nicht mehr versichern, sie sind unkalkulierbar“, sagte eine Sprecherin des weltgrößten Rückversicherers Münchener Rück. Bei der Allianz hieß es, es gebe noch keine eindeutige Festlegung, ob Terrorrisiken künftig gedeckt werden. Allerdings braucht auch die Allianz dafür Rückversicherungsschutz.

In London, dem Zentrum der Weltluftfahrtversicherung, ist die Entscheidung schon gefallen. Die einflussreiche Lloyd’s Aviation Underwriting Association hat die neue Klausel AVN48C entwickelt. Sie schließt Dirty Bombs und andere Terrorwaffen nicht nur aus der Deckung aus, sondern erklärt sie auch für unversicherbar. „Auch mit Zusatzprämien ist da nichts mehr zu machen“, sagte Lufthansa-Experte Oelßner.

Luftfahrtunternehmen sind gesetzlich und durch internationale Verträge gezwungen, ihre Haftung gegenüber Passagieren und Dritten durch eine Versicherung abzudecken. Nach dem Montrealer Übereinkommen dürfen sie ohne Versicherung nicht fliegen. „Wenn die Ausschlüsse greifen, haben wir keinen Versicherungsschutz für Terrorrisiken mehr“, sagte Oelßner. „Wir dürfen andere Länder nicht mehr überfliegen.“

Leasinggeber würden sofort darauf dringen, dass ihre Flugzeuge nicht starten. „Wenn die EU-Kommission nicht ein Marktversagen feststellt und staatliche Lösungen erlaubt, stehen wir am Boden“, sagte Oelßner. Das gelte für alle Airlines der Welt, nicht aber für die US-Flieger. Denn dort haftet die Regierung bis 2008 für Terrorismusschäden.

Bisher ist die Bereitschaft der Regierungen für Zusagen gering. Die EU-Staaten haben sich verständigt, erst einmal nichts zu tun. Sonst ermutige man nur die Assekuranz bei ihren Plänen, Terrorrisiken auszuschließen.

Zitat:

„Wir wollen diese Risiken nicht mehr versichern, sie sind unkalkulierbar“ – Sprecherin der Münchener Rück

Bild(er):

Seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York fürchtet die Assekuranz Risiken durch Angriffe mit Flugzeugen – AP/Jim Collins

Quelle: Financial Times Deutschland

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