Industrieverband erwartet Zurückhaltung bei Hauptversammlungen und Pressekonferenzen · Aktionärsanwalt beklagt Haftungsgrenze
Durch die geplante schärfere Managerhaftung für Kapitalmarktinformationen droht nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) ein grundsätzlicher Kulturwandel auf Hauptversammlungen und bei Pressekonferenzen in Deutschland. Laut dem Diskussionspapier der Bundesregierung können Manager für Aussagen auf Hauptversammlungen und anderen Veranstaltungen des Unternehmens haften. „Die Folge wird sein, dass es keine spontanen Reaktionen mehr gibt oder bestimmte Fragen gar nicht mehr beantwortet werden“, sagte BDI-Justiziar Peter Wiesner der FTD. Der Gesetzentwurf dürfte wohl noch einige Änderungen erfahren und soll im Oktober ins Kabinett gehen.
Dass Interviews von der Haftung ausgenommen werden, hält Wiesner für gut. „Wenn sie für jede mündliche Äußerung haftbar gemacht werden können, dann müsste sich jedes Vorstandsmitglied von Juristen wie von Bodyguards begleiten lassen. Dann würde sich überhaupt niemand mehr zu irgendetwas äußern.“
Auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) begrüßte, dass es eine klare Abgrenzung geben soll, für welche mündlichen Äußerungen die Manager künftig verantwortlich gemacht werden können. „Nicht jedes Wort muss also auf die Goldwaage gelegt werden“, sagte DAI-Direktor Franz-Josef Leven.
Der durch Aktionärsklagen bekannte Rechtsanwalt Klaus Rotter nennt die Haftungsobergrenze für die Manager „massiv störend“. Sie soll bei Vorständen und Aufsichtsräten jeweils zwei Jahresgehälter oder maximal 4 Mio. Euro betragen. „Hier wird ein bestimmter Personenkreis privilegiert, während ein Bauarbeiter unbeschränkt haftet, wenn er die falsche Leitung anbohrt.“ Auch sei nicht einzusehen, warum die Haftung erst bei grober Fahrlässigkeit greifen solle. Andere Berufe seien schon bei leichter Fahrlässigkeit regresspflichtig.
Kritisch sieht Rotter zudem, dass Äußerungen gegenüber den Medien von der Haftung ausgenommen werden. „Schließlich haben die Haffas die Leute vor allem über die Medien belogen“, sagte er mit Blick auf die ehemaligen Vorstände des Skandalunternehmens EM.TV.
Die gesetzlich geplante Selbstbeteiligung von Vorständen und Aufsichtsräten bei dem Abschluss einer Haftpflichtversicherung (D&O) ist nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft bei Neuverträgen mittlerweile üblich. Der größte deutsche D&O-Versicherer Gerling legt nach Angaben eines Sprechers großen Wert darauf, dass der Selbstbehalt einen spürbaren Betrag für den Versicherten darstellt. Bei Gerling-Policen geht der Selbstbehalt bis zu einem halben Jahresgehalt. Der zur Ergo-Gruppe gehörende Versicherer Victoria kritisiert hingegen, dass eine Umkehr der Beweislast die Haftung für die Manager deutlich verschärfen und damit zu mehr Ansprüchen führen würde.
Branchenkenner gehen davon aus, dass bereits heute jede zehnte der schätzungsweise 10 000 D&O-Policen in Deutschland von einer Schadenmeldung betroffen ist. Die Assekuranz hat darauf mit Preiserhöhungen, der Einführung und Anhebung von Selbstbehalten reagiert.
Zitat:
„Hier wird ein bestimmter Personenkreis privilegiert, während ein Bauarbeiter unbeschränkt haftet“ – Rechtsanwalt Klaus Rotter zur Haftungsobergrenze
Doris Grass, Frankfurt, und Anja Krüger, Köln
Quelle: Financial Times Deutschland
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