Karlsruhe prüft Überschussbeteiligungen

Lebensversicherer fürchten negative Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht

Von Herbert Fromme, Köln Das Bundesverfassungsgericht wird am 27. Oktober mündlich über drei Verfassungsbeschwerden verhandeln, deren Ausgang von weit reichender Bedeutung für die deutschen Lebensversicherer ist. In allen drei Fällen geht es um die Beteiligung der Versicherten an den Überschüssen und den stillen Reserven, die mit ihren Prämien erwirtschaftet wurden.

Angeregt wurden die Verfassungsbeschwerden durch die Verbraucherorganisation Bund der Versicherten (BdV). „Versicherungsnehmer müssen wissen, wieviel Geld ihnen aus Überschüssen ihrer Lebensversicherung zusteht“, sagte die BdV-Geschäftsführerin und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lilo Blunck.

Die Assekuranz betrachtet das Verfahren mit großer Unruhe. Allein die Tatsache, dass die Verfassungsrichter die Beschwerden überhaupt zur Verhandlung annahmen, gilt als Indiz für eine mögliche Entscheidung gegen die Versicherungswirtschaft.

Eine der drei jetzt verhandelten Verfassungsbeschwerden zielt auf die Bestandsübertragung im Jahr 1988 beim Deutschen Herold, bei der beim abgebenden Versicherer Vermögenswerte einschließlich erheblicher stiller Reserven verblieben, auf die Versicherte Ansprüche anmeldeten. Auch die Umwandlung des Versicherungsvereins R+V Leben in eine Aktiengesellschaft steht auf dem Prüfstand, weil Versicherte dabei die Vereinsmitgliedschaft und möglicherweise Vermögenswerte verloren. Schließlich gehen Versicherte gegen die Gothaer Lebensversicherung wegen angeblich zu niedriger Gewinnbeteiligung vor.

Wegen der möglichen Wirkung auf das gesamte System der Lebensversicherung hat das Verfahren bedeutende Sprengkraft. Die Versicherer haben bislang große Freiheiten, wann sie welche stillen Reserven heben und den Versicherten und Aktionären zukommen lassen. Gleichzeitig werden alle Kunden im wesentlichen in gleicher Höhe an den Gewinnen beteiligt, ob sie seit Jahrzehnten dabei sind und mit ihren Beiträgen die Gewinne aufgebaut haben, oder die Lebensversicherung nur kurzfristig – etwa mit einer hohen Einmalzahlung – als lukrative Anlage mit hohen Zinsen betrachten.

In der Branche wird nicht damit gerechnet, dass die Verfassungsrichter die beklagten Unternehmen zur nachträglichen Ausschüttung an ihre Versicherten zwingen. Das wäre auch kaum möglich: Wegen der Aktienkrise haben sich die umstrittenen stillen Reserven bei den meisten Unternehmen verflüchtigt, bei einigen Lebensversicherern gibt es sogar noch stille Lasten. Ein solches Urteil könnte die Insolvenz einzelner Gesellschaften zur Folge haben.

Möglicherweise gibt aber das Gericht Regierung und Bundestag auf, zur Abhilfe entsprechende gesetzliche Regelungen zu treffen. Das Versicherungsvertragsgesetz steht sowieso zur Überarbeitung an. Verbraucherfreundliche Vorgaben aus Karlsruhe könnten die Assekuranz, die zur Zeit ohnehin über die ihrer Ansicht nach mangelnde Profitabilität der deutschen Lebensversicherung stöhnt, empfindlich treffen.

Zitat:

„Versicherte müssen wissen, wieviel Geld ihnen zusteht“ – Lilo Blunck, BdV

Quelle: Financial Times Deutschland

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