Die Vorwürfe gegen den weltgrößten Versicherungsmakler Marsh & McLennan verunsichern die gesamte Assekuranzbranche.Jeden Tag hat Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer eine andere Versicherung im Visier
Von Heike Buchter, New York, Herbert Fromme, Köln, und Michael Prellberg, Hamburg Der Kunde kriegt drei Angebote: teuer, sehr teuer und absurd teuer. Der Kunde votiert für „teuer“ und meint, billig davongekommen zu sein. Was er nicht weiß: Die beiden anderen Angebote sind getürkt. Ins Spiel gebracht, um das teure Angebot billiger wirken zu lassen.
So simpel funktioniert der Betrug, der beim weltgrößten Versicherungsmakler Marsh & McLennan offenbar gang und gäbe ist. Von „Mafia-Methoden“ spricht der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer. Vorige Woche hat er Anklage wegen Betrugs an Kunden und Aktionären eingereicht. Damit setzt er nicht nur Marsh & McLennan auf die Anklagebank – wenn sich seine Vorwürfe bestätigen, steht die ganze Maklerbranche vor fundamentalen Umwälzungen.
Genau das hat Spitzer vor: „Wir schauen in viele Ecken der Versicherungsbranche, um herauszufinden, wie korrupt die Geschäftspraktiken sind.“ Die Branche kann sich also auf turbulente Zeiten einstellen. Seit Tagen fallen die Aktien der Versicherer – aus schierer Angst vor bösen Enthüllungen. Der Kurs von Marsh & McLennan hat sich innerhalb einer Woche halbiert, die Kurse der Anleihen stehen unter Druck, die Banken haben die Kreditlinien eingefroren. Anwälte melden die ersten Sammelklagen von Investoren und Kunden an.
Versicherungsvermittlung ist ein Geschäft, für das man vergleichsweise wenig Kapital braucht. Aus dem Grund konnten schwach kapitalisierte Gruppen durch internationale Zukäufe Weltkonzerne bilden. Allerdings sind diese Gebilde auch fragil – sie können wieder zerfallen und sich neu formieren.
Bedroht ist deshalb auch der zweitgrößte Versicherungsmakler der Welt, Aon – der Konzern wird ebenfalls überprüft. Die US-Krankenversicherer Aetna und Cigna sowie der Lebensversicherer Metlife und der Berufsunfähigkeitsversicherer Unum Provident bestätigen, Vorladungen von Spitzer erhalten zu haben. In die Marsh-Geschäfte verwickelt sind die Versicherungen Hartford und Munich-American Risk Partners (MARP), eine Tochter der Münchener Rück. Jeden Tag fallen neue Namen von Assekuranzunternehmen, die ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Gestern war es die niederländische ING. Die öffentliche Reaktion der Betroffenen ist immer gleich kurz: „Wir kooperieren.“
Das könnte sich als hilfreich erweisen, sollte es zu Prozessen kommen. Mildernde Umstände erhoffen sich wohl die Versicherungen AIG und Ace, die Staatsanwalt Spitzer mit Material versorgen – belastend für die Unternehmen selbst, belastend aber vor allem für Marsh & McLennan.
Die Versicherungsmakler hätten, behauptet Spitzer, häufig alle Angebote manipuliert, die den Kunden vorgelegt wurden – nicht nur die Scheinangebote. Selbst die Versicherungsgesellschaft, die den Zuschlag kriegen sollte, musste sich auf die vom Makler vorgebenen Konditionen einlassen.
Dazu zählen oft Market oder Placement Service Agreements – Zusatzverträge, die zusätzliche Provisionen in die Kasse der Makler spülten. In seiner Klageschrift zitiert Spitzer einen Marsh-Manager, der seinen Mitarbeitern mitteilt, die Höhe der Zusatzprovision „bestimmt, zu wem wir Geschäft lenken und von wem wir Geschäft weglenken“. Tatsächlich wurde das Geschäft nur nach der Sonderprovision gesteuert – egal, ob dieser Versicherer der günstigste war oder nicht. So schrieb ein Marsh-Manager in einem Memo über ein Treffen mit der US-Chefin der Ace-Versicherungsgruppe am 7. November 2003: „Ich erklärte, wenn Ace von uns deutlich mehr Umsatz will, muss Ace ,mehr als üblich‘ für diese Anstrengung zahlen.“ Neben dem Zuckerbrot gab es auch die Peitsche. So drohte Marsh einem Versicherer, ihn „fertig zu machen“, wenn in der Zusatz-Provionsvereinbarung nicht die „richtige Zahl“ stehe.
Die Versicherungen kuschten: Entweder bekamen sie den Vertrag – oder ihnen wurde zugesichert, beim nächsten Mal nach demselben Prinzip zum Zuge zu kommen.
Die Macht der Versicherungsmakler beruht auf ihrer Funktion als Flaschenhals: Weil Unternehmen nicht mit allen Versicherungen der Welt verhandeln können, beauftragen sie Makler, die besten Angebote herauszusuchen. Diese Position an der Schnittstelle zwischen Angebot und Nachfrage haben offenbar einige Makler bei Marsh & McLennan ausgenutzt.
Dabei ist das Unternehmen alles andere als eine Hinterhofklitsche. Die Gründer Henry W. Marsh und Donald R. McLennan versorgten ab 1871 die frühen Industriekapitäne und Eisenbahnbarone der USA mit Policen. Seit 1906 firmiert die Agentur unter Marsh & McLennan, 1962 ging das Unternehmen an die Börse. Inzwischen ist der Konzern der weltweit größte Vermittler von Industrieversicherungen, erwirtschaftete 2003 einen Umsatz von 11,5 Mrd. $ – fast die Hälfte entfiel auf die Versicherungsmakler. In dem Bereich sind 36 000 der 63 000 Mitarbeiter beschäftigt. Neben dem Versicherungsgeschäft ist Marsh & McLennan mit dem Zukauf von Putnam in die Investmentfondsbranche expandiert und hat die Unternehmensberatung Mercer zugekauft.
An der Spitze von Marsh & McLennan steht der 52-jährige Jeffrey Greenberg. Diese Personalie wirft ein Schlaglicht auf die Verstrickungen in der Branche. Fast könnte man von einer Familienaffäre sprechen: Der jüngere Bruder des Marsh-Chefs leitet den Versicherer Ace, ihr gemeinsamer Vater Maurice „Hank“ Greenberg ist Vorstandschef bei AIG. Eben diese beiden Versicherer sind am tiefsten verstrickt in den Marsh-Skandal.
Sowohl Jeffrey als auch Evan Greenberg arbeiteten zunächst beim nach Börsenkapitalisierung weltgrößten Versicherer AIG und wurden als Nachfolger ihres Vaters gehandelt. Das Warten ist ihnen wohl zu lang geworden. Der Patriarch der Assekuranz, bald 80 Jahre alt, sitzt seit 37 Jahren auf dem AIG-Chefsessel. 1960 begann er, beim damals noch unbedeutenden Unternehmen zu arbeiten. Sieben Jahre später wurde er zum Vorstandsvorsitzenden befördert. Seitdem hat Greenberg AIG zum Assekuranzkoloss ausgebaut.
In ersten Stellungnahmen gab Greenberg senior sich betrübt – „Wir reden hier immerhin über meinen Sohn“ – und beteuerte, nichts von den Schiebereien gewusst zu haben. Er wolle die Vorgänge bei AIG aufs Strengste untersuchen.
Bei Marsh & McLennan gibt sich Jeffrey Greenberg noch entspannt: „Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst – aber dieses Unternehmen tut so etwas nicht.“ Früher schienen solche Aussagen auszureichen, um Nachfragen abzuwürgen. Das Verhältnis zwischen Versicherern und Aufsicht ist eng, die Trennwände durchlässig. Die Versicherungsaufsicht obliegt den einzelnen Bundesstaaten. Doch die Behörden vor Ort scheinen wenig motiviert gewesen zu sein: Bereits vor mehr als zwei Jahren hatte sich die AIG bei der New Yorker Versicherungsaufsicht über Marshs Gebührenpolitik beschwert. Vor Spitzers Eingreifen war nicht viel passiert.
Die von Spitzer jetzt angeprangerten Praktiken sind für Brancheninsider nichts Neues. Selbst die Kunden waren sich über den Interessenskonflikt der Makler im Klaren. Seit Jahren fordert die Risk and Insurance Management Society – der Interessenverband der Risikomanager, die auf Unternehmensseite die Policen einkaufen – wenigstens eine Offenlegung der Provisionen. „Die ganzen Interessenskonflikte tauchen nicht überraschend auf. Die Wirtschaft ist nicht skrupelloser geworden. Vielmehr ist die Öffentlichkeit aufmerksamer und nicht länger willens, großmütig über Schurkereien hinwegzublicken“, sagt Thomas Donaldson, Professor an der Wharton School of Business. Spitzers Ermittler schwimmen auf der Säuberungswelle mit: „Wenn das die traditionelle Art der Assekuranz ist, Geschäfte zu machen, dann liegt wirklich etwas im Argen“, sagt Spitzers Chefermittler David D. Brown.
Die Makler haben eine Vertrauensposition inne – das ist die Basis für ihr Geschäftsverhältnis zu ihrem Kunden. Dieses Vertrauen hat Marsh & McLennan zumindest auf absehbare Zeit verspielt. Die Zukunft des Unternehmens ist ungewiss: Gestern erklärte das angeschlagene Unternehmen, durch die Untersuchung Spitzers werde es schwierig, sich zu refinanzieren. Im New Yorker Hauptquartier herrscht Endzeitstimmung. Eine Mitarbeiterin befürchtet, „es wird Drastisches geben“.
Bild(er):
Fairplay geht anders: Das Spiel mit gezinkten Würfeln, also Betrug,wirft Staatsanwalt Eliot Spitzer dem weltgrößten VersicherungsmaklerMarsh & McLennan vor – David Karp/Bloomberg News; Ralf Poller/avanti; FTD-Montage
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo