Angesichts hoher Selbstbehalte und vieler Risikoausschlüsse lohnen sich Versicherungen für manche Unternehmen kaum noch
Von Katrin Berkenkopf Versicherer und Rückversicherer weltweit erwarten einen neuen Großschaden aus der Pharmahaftung. Nach dem Verkaufsstopp des Merck-Schmerzmittels Vioxx stellen Patienten und Angehörige von verstorbenen Nutzern des Medikaments Ansprüche. Anwälte in den USA haben bereits 300 Klagen eingereicht.
Der Gesamtschaden könnte in die Milliarden gehen. Das Unternehmen gibt an, für Personenschäden Haftpflichtdeckungen bis 630 Mio. $ abgeschlossen zu haben, nach Abzug der von Merck selbst zu tragenden, aber nicht bezifferten Anteile. Dazu könnten noch Ansprüche auf Schmerzensgeld und Vermögensschäden kommen. Damit erreicht Vioxx die Größenklasse des Lipobay-Schadens, der den Bayer-Konzern traf. Dafür mussten Haftpflichtversicherer unter Führung von Gerling und ihre Rückversicherer rund 1 Mrd. Euro aufbringen.
Für die Pharmabranche dürfte der jüngste Großschaden es nicht gerade leichter machen, eine Haftpflichtdeckung zu finden. Ohnehin hat die Versicherungswirtschaft die vergangenen zwei Jahre genutzt, um die Preise kräftig zu erhöhen und die Bedingungen zu verschärfen. Der Hauptpunkt: Auch in Deutschland stellen die Versicherer das traditionelle Deckungsprinzip auf internationale Standards um. Dabei geht es darum, möglichst viele Risiken und Verfahren ganz auszuschließen.
Nach dem früheren Schadenanfallprinzip – auf Englisch Occurrence – musste der Versicherer zahlen, bei dem das Unternehmen zu jenem Zeitpunkt versichert war, zu dem der durch das Medikament verursachte Schaden auftrat, also der Patient krank oder behindert wurde. Die meisten Haftpflichtverträge deutscher Arzneimittelhersteller sind aber mittlerweile auf das so genannte Anspruchserhebungsprinzip umgestellt, das in den USA und Großbritannien schon lange zum Alltag gehört und hier wie dort unter Claims Made kursiert. Danach muss der Versicherer Deckung gewähren, bei dem das Unternehmen zum Zeitpunkt der Anspruchstellung eines Geschädigten versichert war.
Das kann im Extremfall dazu führen, dass ein Schaden nicht mehr gedeckt ist. Zum Beispiel: Im Jahr 2003 treten bei einer großen Gruppe von Patienten ernsthafte Nebenwirkungen durch das Medikament XY auf. Erst zwei Jahre später erheben sie jedoch Ansprüche gegen den Hersteller. Dessen Versicherer haben frühzeitig von möglichen Problemen mit der Arznei XY gehört und dieses Risiko bei der Vertragserneuerung für 2005 ausgeschlossen.
Ganz ohne Haftpflichtdeckung sind Pharmaunternehmen in Deutschland aber nie. Das Arzneimittelgesetz hat 1978 die Schaffung eines Pharma-Pools zur Folge gehabt. Dahinter verbirgt sich eine gesetzliche Pflichtversicherung, die bis zu 120 Mio. Euro pro Arzneimittel zahlt.
Sobald Hersteller ihre Medikamente auch in den USA verkaufen, wird der Versicherungsschutz wegen der berüchtigten Schadensersatzrechtsprechung und der Höhe von Ansprüchen richtig teuer. Außerdem dringen Versicherer für solche Ansprüche auf hohe Selbstbehalte und viele Risikoausschlüsse.
„Die großen Pharmaunternehmen wägen genau ab, wie viel Prämie sie bereit sind, für Qualität und Höhe der Absicherung zu zahlen“, sagt Irene Hauschild, Haftpflichtexpertin beim Makler Marsh. Einige bilden lieber selbst entsprechende Rückstellungen. Selbst wer nicht in den USA aktiv ist, kann nicht auf günstigen Versicherungsschutz hoffen. Forschende Arzneimittelhersteller müssen beispielsweise eine teure gesetzliche Pflichtversicherung für ihre Probanden abschließen.
Und natürlich brauchen Pharmafirmen die üblichen Sachversicherungen, etwa zum Schutz gegen Schäden an ihren Betriebsstätten durch Feuer oder Sturm und daraus folgendem Produktionsausfall. Auch diese Policen sind vielen Herstellern zu teuer geworden. Deshalb hat eine Gruppe von sieben internationalen Pharmakonzernen im vergangenen Jahr einen eigenen Bermuda-Versicherer gegründet. „Es handelt sich um gute Risiken, aber die kommerziellen Versicherer sind nicht bereit, das durch niedrigere Preise zu honorieren“, erklärte Gordon Prager vom Versicherungsmakler Willis, der das Geschäft managt.
Bild(er):
Das viel benutzte Schmerzmittel Vioxx des amerikanischen Herstellers Merck bescherte der Versicherungsbranche den jüngsten Großschaden in der Pharmahaftung – AP/Daniel Hulshizer
Quelle: Financial Times Deutschland
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