Neue Zweisamkeit

Akupunktur, Brille, Zahnersatz: Hunderttausende gesetzlich Versicherte schließen private Zusatzpolicen ab

Von Ilse Schlingensiepen, Köln Ein bislang unbekanntes Wir-Gefühl verbindet seit dem 1. Januar gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherer (PKV). Unternehmen aus den sonst getrennten Lagern bieten gemeinsam private Versicherungen als Ergänzung zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) an. Beide Partner scheinen bislang zufrieden mit der neuen Zweisamkeit zu sein.

Die Gesundheitsreform hat den Kassen ermöglicht, ihren Mitgliedern Policen privater Anbieter zu vermitteln. Früher konnten die 70 Millionen GKV-Versicherten Zusatzversicherungen nur direkt bei PKV-Unternehmen abschließen. Der private Versicherer ist zwar nach wie vor Vertragspartner des Kunden, dieser kann aber alles über seine Kasse abwickeln.

Genau das ist für viele ein Vorteil, sagt Ulrike Leschik-Hähn, Geschäftsleiterin Leistungen beim AOK-Bundesverband. „Unsere Versicherten haben den Wunsch, Leistungen, die nicht Teil der GKV sind, über die AOK zu bekommen.“ Die 17 regionalen AOKs haben verschiedene private Partner, 13 arbeiten mit der Deutschen Krankenversicherung (DKV) zusammen. „Im AOK-System haben sich bislang weit über 100 000 Versicherte für eine Zusatzversicherung entschieden“, berichtet Leschik-Hähn.

Besonders groß ist die Nachfrage nach Policen für Auslandsreisen und Extraleistungen im ambulanten Bereich. Solche Policen sind nicht sehr teuer. Ein Kombi-Paket für Sehhilfen, Zahnersatz, Auslandsreise und Krankenhaustagegeld kostet einen 30-jährigen AOK-Versicherten bei der DKV knapp 7 Euro im Monat. „Ab 15 Euro monatlich aufwärts werden die Versicherten sehr vorsichtig“, sagt sie.

„In erster Linie läuft das kleinpreisige Massengeschäft“, bestätigt Jörg Brönner, Leiter der Vertriebsleitstelle für GKV-Kooperationen bei der DKV. Die DKV hat mehr als 50 000 Policen an AOK-Versicherte verkauft. Sie bietet diesen Kunden bessere Konditionen. „Wir haben bei der AOK im Schnitt eine Rabattierung von fünf Prozent“, sagt Brönner. Günstigere Preise gibt es auch in den anderen Kooperationen. Wechselt der Versicherte die Kasse, verliert er die Vorteile beim Zusatzschutz. Die Kassen sehen die Partnerschaften deshalb auch als Instrument der Kundenbindung.

Die meisten Zusatzpolicen hat das Duo Barmer Ersatzkasse/HUK-Coburg verkauft. Über 184 000 Versicherte zählt die HUK-Coburg in dem Segment. „Unsere Erwartungen sind weit übertroffen worden“, sagt Sprecher Alois Schnitzer. Ende 2003 hatte das Unternehmen nur 115 000 Zusatzversicherte im Bestand. „Durch die Kooperation hat sich für uns ein neuer Markt aufgetan, den wir sonst nicht hätten erschließen können“, so Schnitzer. Bis Jahresmitte hatte die HUK-Coburg für das Geschäft 40 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. „Bis Jahresende werden es 80 sein.“

Renner sind Tarife für Barmer-Versicherte, die älter als 60 Jahre sind. Sie wurden früher von der PKV meist gar nicht angenommen. In der Einführungsphase hat die HUK-Coburg sogar auf die sonst obligate Gesundheitsprüfung verzichtet. „Rund 150 000 Policen für Senioren sind bereits verkauft“, sagt Jürgen Graalmann, bei der Barmer zuständig für die Kooperation. Aber auch andere Tarife laufen gut, etwa für Zahnersatz und Heilpraktiker- oder Akupunkturbehandlungen. Graalmann sieht in den Kooperationen ein „zukunftsträchtiges Feld“. Kommen weitere Kürzungen in der GKV, können die Zusatzversicherungen die Lücken füllen. „Es geht uns dabei aber nur um Produkte, die für unsere Versicherten wirklich Sinn machen“, sagt Graalmann.

Viele private Krankenversicherungen haben inzwischen einen GKV-Partner. Der PKV-Verband hatte ursprünglich befürchtet, dass die Empfehlung bestimmter Versicherer durch die Kassen zu einer Wettbewerbsverzerrung führt. „Diese Sorge war nicht berechtigt“, sagt Geschäftsführer Christian Weber. Das neue Modell hat die Sensibilität für das Thema Zusatzversicherungen erhöht, längst nicht jeder Versicherte hat sich dabei aber an die Empfehlung seiner Kasse gehalten. Auch die Diskussion über Leistungskürzungen in der GKV verschafft der PKV Zulauf. Im ersten Halbjahr 2004 hat die Branche 800 000 Zusatzversicherungen mehr verkauft als ein Jahr zuvor. „Der größte Teil des Zusatzversicherungsgeschäfts in diesem Jahr ist außerhalb der Kooperationen geblieben“, sagt Weber.

Zitat:

„In erster Linie läuft das kleinpreisige Massengeschäft“ – Jörg Brönner, DKV

Bild(er):

Wer auf Akupunktur schwört, braucht eine Police einer privaten Versicherung. Die meisten Krankenkassen bezahlen die Leistung nicht – Avenue Images

Weitere berichte: www.ftd.de/ gesundheitswirtschaft

Quelle: Financial Times Deutschland

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