Die deutsche Versicherungsbranche ist bekannt dafür, dass sie manche Probleme nicht wahrhaben will – bis es zu spät ist und EU oder Regierung ihr Lösungen aufzwingt. So hat sich die Assekuranz jahrzehntelang gegen ein Insolvenzsicherungsmodell gesperrt, bis die Finanzaufsicht BaFin es erzwang.
Den Kopf in den Sand steckt die Branche auch beim Problem der Zinsgarantien, die sie Lebensversicherungskunden gibt. In einem Gespräch mit der FTD hat Bernhard Schareck, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, vergangene Woche einen mutigen Vorstoß unternommen. Die Assekuranz brauche Adjustierungsmechanismen bei ihren lang laufenden Zinsgarantien, sagte Schareck, um mit Problemen wie der steigenden Lebenserwartung fertig zu werden.
Der Rest der Branche war nicht begeistert. Jede Diskussion über eine mögliche Abschwächung der Garantien wirkt sich negativ auf die Verkaufszahlen aus. Das ist gerade jetzt, wo der Markt auf Grund des Wegfalls des Steuerprivilegs im Umbruch ist, bei Versicherern zutiefst unbeliebt.
Druck aus der Branche
Schareck bekam viel Druck aus den eigenen Reihen und versuchte später, seine Aussagen zu relativieren. Aber er hat Recht. Wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann nur, dass er nicht weit genug gegangen ist.
Klassische Kapital- und Rentenversicherungen sind so konstruiert, dass die Kunden faktisch einen garantierten Zins erhalten. Bei Neuverträgen darf dieser Rechnungszins inzwischen nur noch höchstens 2,75 Prozent betragen. Für den gesamten Altbestand ihrer Verträge müssen die deutschen Versicherer nach Berechnungen des Marktführers Allianz aber immer noch eine durchschnittliche Garantie von 3,5 Prozent erwirtschaften.
Dabei geht es um gigantische Summen. Die Lebensversicherer haben mehr als 620 Mrd. Euro angelegt, mehr als 90 Prozent davon bedecken Leistungsversprechen an Kunden. Jahrzehntelang spielte die Garantie kaum eine praktische Rolle, es handelte sich vor allem um ein zusätzliches Verkaufsargument gegen Aktien und Fonds. Die Lebensversicherer schrieben ihren Kunden ohnehin sechs, sieben oder acht Prozent gut, die Zinsgarantien machten höchstens vier Prozent aus. Zwar fallen schon seit Anfang der 90er Jahre die Erträge aus festverzinslichen Wertpapieren, der Hauptkapitalanlage der Assekuranz. Aber mit Hilfe der hohen Aktienerträge konnten die Unternehmen die hohen Gutschriften darstellen.
Seit dem Aktiencrash ist das anders. Einige Gesellschaften schreiben schon heute nur noch die Garantien gut. Alle haben Probleme, die nötigen Erträge zu verdienen. Für Neuanlagen in festverzinsliche Papiere bekommen die Versicherer zwischen 3,4 und 3,7 Prozent Zinsen.
Alles spräche dafür, Garantien in ihrer jetzigen Form nicht mehr abzugeben. Kann ein Versicherer heute bei einer Rentenpolice für eine 30-jährige Frau ernsthaft eine Verzinsung von 2,75 Prozent für die gesamte Laufzeit garantieren, die 60 Jahre betragen kann? Verschärft wird das Problem dadurch, dass Garantien Eigenkapital kosten, künftig sogar noch mehr.
Dass viele Gesellschaften schon heute Probleme mit ihrer Eigenkapitalbasis haben, zeigte sich 2004: Im Boomjahr verkauften viele Lebensversicherer vor allem fondsgebundene Policen. Dabei trägt der Kunde das Kapitalmarktrisiko, das Eigenkapital des Versicherers wird geschont.
Wenn die Versicherer die Garantie wirklich ernst meinten, müssten sie sich dafür von den Kunden bezahlen lassen. Aber jeder Asset Manager weiß, dass eine Ertragsgarantie äußerst teuer ist. Die Lebensversicherer verdienen weniger als vier Prozent mit den Kapitalanlagen ihrer Kunden, der inflationsbereinigte Ertrag liegt unter drei Prozent. Wenn davon noch Garantiekosten abgezogen werden, bleibt kaum etwas, mit dem die Kunden ihre Altersvorsorge aufbauen können.
Schon heute Probleme
Schon heute kann die BaFin für Lebensversicherer, die in Not sind, die Garantieansprüche der Kunden aufheben. Sie haben also begrenzten Wert. Wer privat für sein Alter vorsorgt, geht immer Risiken ein. Das sollten die Lebensversicherer ihren Kunden erklären – statt mit Garantien, die langfristig nicht zu halten sind, für die Zukunft einen gigantischen Vertrauensverlust zu riskieren. Die Garantien in der heutigen Form stammen aus der Zeit der staatlichen Regulierung der Branche. Sie passen nicht mehr in das heutige Umfeld.
Das weiß auch die Assekuranz. Natürlich machen sich ihre Experten Gedanken. Nur darüber reden wollen sie nicht. Vor allem der Marktführer Allianz Leben mag keine öffentliche Debatte. Die Allianz-Führung ist fest davon überzeugt, dass es in Deutschland zu einer Konsolidierung des Versicherungsmarktes kommen muss. Sie ist stark genug, um sich die Garantien noch eine Zeit lang leisten zu können. Man könnte auf den bösartigen Gedanken kommen, dass die Allianz ruhig zuschaut – wie die Garantien manchem Konkurrenten die Luft nehmen und damit die Marktbereinigung beschleunigen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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