Der Begriff ist ein wahrer Zungenbrecher: „morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“ (Morbi-RSA). Hinter der sperrigen Wortkombination verbirgt sich ein Thema, das wie kaum ein anderes die Gemüter im Gesundheitswesen erhitzt. Es geht um die Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen. Zwischen Kassen, deren Mitglieder eher gut situiert und gesund sind, und solchen, deren Versicherte überwiegend ärmer und krank sind.
Dabei ist viel Geld im Spiel: 13,6 Mrd. Euro wurden durch den Risikostrukturausgleich (RSA) im Jahr 2004 umverteilt, schätzt der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK).
Bis Anfang 2007 soll nun der RSA zum Morbi-RSA umgebaut werden. Entschieden bisher das Alter, das Geschlecht und eine Erwerbsunfähigkeit der Versicherten als Kenngrößen darüber, ob eine Kasse einen Ausgleich erhielt, soll das neue System die Morbidität miteinbeziehen, also die Krankheitshäufigkeit. Kassen, die mehr Gesunde haben, würden dann mehr Geld an jene Kassen zahlen, die mehr Kranke versichern. Vehemente Verteidiger des Morbi-RSA sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) und die Barmer – sie werden voraussichtlich von der Umstellung profitieren. Als Verlierer gelten die Techniker Krankenkasse (TK) und viele BKKs. Den AOKs winkt eine Senkung der Beitragssätze um 0,5 Prozentpunkte, während die BKKs im Schnitt um 0,6 Prozentpunkte erhöhen müssten. Dies ist Teil eines Gutachtens, das im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellt wurde. Manche Betriebskrankenkassen deuten jetzt schon die Zeichen der Zeit und richten ihre Strategie auf den Morbi-RSA aus: So interessiert sich die BKK Essanelle, die derzeit kräftig zukauft, vor allem für Kassen mit vielen älteren Mitgliedern.
Wie der Gesundheitszustand von Versicherten am besten erfasst werden kann, darüber haben sich unter anderem die Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach und Jürgen Wasem in dem Regierungsgutachten geäußert. Sie empfehlen die Arzneimittelverordnungen und die Krankenhausdiagnosen als Berechnungsgrundlage.
„Der Morbi-RSA ist nicht nur gerechter, sondern er bedeutet auch weniger Aufwand und weniger Bürokratie“, wirbt der Barmer-Chef Eckart Fiedler für das neue System. Befürchtungen, das neue Konzept würde den Kassen Anreize für effizientes Wirtschaften nehmen, weist er zurück. Grundlage seien durchschnittliche Behandlungskosten. Gibt eine Kasse mehr aus, bleibt sie auf der Differenz sitzen. Außerdem sei ein „prospektiver Ansatz“ geplant. Nicht die tatsächlich anfallenden Kosten des Jahres würden ausgeglichen, sondern nur die Durchschnittskosten, die eine Erkrankung im Folgejahr verursacht. Es mache also keinen Sinn, Versicherte absichtlich krank erscheinen zu lassen.
Dagegen befürchtet TK-Chef Norbert Klusen einen „gigantischen Verwaltungsaufwand“, der zu immensen Fehlsteuerungen führe. Auch Robert Paquet, Leiter des Berliner Büros des BKK-Bundesverbands, beklagt, das neue System setze die falschen Anreize. „Die Kosten werden sich hoch- statt runterschaukeln.“ Eine Kasse, die durch hohe Arzneimittelkosten im Finanzausgleich eine „scheinbar hohe Morbidität“ zugewiesen bekomme, habe kein Interesse, sich bei Ärzten für ein niedrigeres Verordnungsniveau einzusetzen. „Außerdem entfallen sämtliche Anreize, sich für die Prävention stark zu machen.“ Zudem sei der bürokratische Aufwand groß.
Davon könne keine Rede sein, sagt Gutachter Lauterbach. „Dort fließen nur Daten ein, die ohnehin routinemäßig erhoben werden.“ Für ihn steht fest: „Der Morbi-RSA ist die wichtigste Einzelentscheidung für das solidarische System der GKV.“ Flankiert werden müsse der Morbi-RSA aber durch mehr Möglichkeiten für die Kassen, direkt mit Ärzten und Kliniken Verträge abzuschließen.
Damit der Morbi-RSA zum 1. Januar 2007 kommt, muss das Bundesgesundheitsministerium noch eine Rechtsverordnung auf den Weg bringen. Sie müsste durch den Bundesrat – einige unionsregierte Länder haben bereits Widerstand angekündigt. „Die Rechtsverordnung wird zügig auf den Weg gebracht“, erklärt eine Sprecherin. Genaue Termine gebe es aber nicht.
Quelle: Financial Times Deutschland
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