Streit mit London und Paris über Kapitalanforderungen
Von Herbert Fromme, Baden-Baden Deutschland streitet nach FTD-Informationen aus Versicherungskreisen heftig mit Großbritannien und Frankreich um die künftigen Kapitalanforderungen an Lebensversicherer. Dieser auf EU-Ebene ausgetragene Kampf sorgt für große Unruhe in der deutschen Branche.
Die Finanzministerien aus London und Paris wollen das deutsche System, nach dem Lebensversicherungskunden selbst den größten Teil der benötigten Eigenmittel stellen, unter den neuen Eigenkapitalvorschriften nicht mehr anerkennen. Diese Regeln werden unter dem Stichwort Solvency II vorbereitet und sollen 2013 angewendet werden.
Ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bestätigte, dass es entsprechende Vorstöße gebe. „Wir nehmen das ernst, glauben aber nicht, dass es dafür eine Mehrheit gibt“, sagte er. „Es geht den beiden Ländern dabei wohl auch darum, Verhandlungspositionen in Bezug auf Solvency II aufzubauen.“ Das Finanzministerium in Berlin lehnte eine Stellungnahme ab.
Milliardenschwere Belastung
Setzen sich London und Paris durch, müssten deutsche Konzerne Milliarden in die Hand nehmen, um ihre Lebensversicherer ausreichend mit Eigenmitteln auszustatten. Sie brauchen eine bestimmte Quote an Eigenkapital zur Bedeckung ihrer Bestände, um Kunden gegen einen Konkurs des Unternehmens zu schützen.
Zurzeit stellen die Kunden rund 80 Prozent der benötigten Eigenmittel. Der Mechanismus ist so nur in Deutschland bekannt: Die Lebensversicherer schreiben Überschüsse aus Kapitalanlagen, die den Kunden zustehen, nicht sofort gut, sondern schicken sie – wie im Gesetz vorgesehen – durch eine Warteschleife: die Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB). Dort liegen sie mehrere Jahre, bevor sie dem Kunden endgültig zugutekommen. In dieser Zeit gelten diese Mittel als Eigenkapital des Versicherers, analog zu den Rückstellungen für Schlussgewinnanteile. Diese werden über die gesamte Laufzeit eines Vertrages aufgebaut, aber dem Kunden erst bei Ablauf gutgeschrieben.
Neues Eigenkapitalsystem
Großbritannien und Frankreich wollen erreichen, dass die RfB und die Schlussüberschussanteile nicht als Eigenmittel anerkannt werden. Dann müssten die Eigner nachschießen. Solvency II soll regeln, dass Versicherer Eigenkapital nach den realen Risiken und nicht pauschal nach festen Prozentsätzen vorhalten müssen. Dazu wird ein kompliziertes System zur Messung von Versicherungs- und Kapitalanlagerisiken entwickelt. Den Entwurf einer Richtlinie hat die EU-Kommission im Juli vorgelegt. Nach Ansicht des GDV ist klar enthalten, dass RfB und Schlussüberschussanteile als Eigenmittel gelten.
Experten glauben, dass sich die deutsche Branche in der Debatte möglicherweise eine Blöße gegeben hat. „RfB und Schlussüberschussanteile stammen aus der Bilanzierung nach dem Handelsgesetzbuch“, sagte Norbert Heinen, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens B&W Deloitte und Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung. Die neue Welt unter Solvency II gehe aber von wertorientierten Bilanzierungen nach internationalen Standards aus. Dazu passe die RfB nicht. „Die richtige Antwort liegt in der Bewertung dieser Mittel“, sagte Heinen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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