Selbst wenn der Schaden am Auto durch erhöhte Fahrlässigkeit entsteht, muss der Kfz-Kaskoversicherer dafür aufkommen
Die Autofahrerin wollte nur kurz ins Geschäft springen, um sich eine Flasche Wasser zu kaufen. Den Wagen stellte sie auf der Straße ab, den Schlüssel ließ sie im Zündschloss. Als sie aus dem Laden kam, war das Auto weg. Vor zwei Jahren hätte sie von ihrem Kfz-Kaskoversicherer HUK-Coburg keinen Cent bekommen. Heute, nach der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), ist das anders. „Die Kundin hat den Schaden zu 50 Prozent ersetzt bekommen“, sagt Wolfgang Beringer, Kfz-Schadenexperte bei der HUK-Coburg.
Bei einfacher Fahrlässigkeit sind Versicherer schon immer für Schäden aufgekommen, bei grober Fahrlässigkeit konnten sie die Regulierung mit Hinweis auf den Fehler des Kunden verweigern. Das dürfen sie nach der Reform nicht mehr. In der Kfz-Versicherung hat das vor allem Bedeutung für den Kaskoschutz. „Für Autohalter ist die Neuerung ein Vorteil, denn in vielen Fällen haben sie früher gar nichts bekommen“, sagt Jost Kärger, Jurist beim ADAC. Vor allem Kunden mit einer sehr billigen Kfz-Police mussten damit rechnen, bei eigenem Mitverschulden leer auszugehen, sagt Kärger.
Typische Situationen, die als grob fahrlässig gelten, sind das Überfahren einer roten Ampel, überhöhte Geschwindigkeit oder gefährliche Körperverrenkungen während der Fahrt, etwa weil etwas in den Fußraum gefallen ist. Wegen solcher Fehler darf kein Versicherer mehr die Leistung pauschal verweigern. Anbieter müssen einen Teil des Schadens übernehmen, je nach Verschulden des Kunden mehr oder weniger. Quoten gibt der Gesetzgeber nicht vor. Die müssen Versicherer und Kunden im Einzelfall aushandeln – oder die Gerichte festsetzen. „Es gibt noch keine einschlägigen Urteile“, sagt Kerstin Stahl, leitende Justiziarin bei der Allianz. Nach ihren Angaben hat die Allianz noch keine Erfahrung mit der Bildung von Quoten. Konkurrent HUK-Coburg geht in großen Schritten vor. „Wir regulieren Schäden in 25-Prozent-Stufen“, sagt Beringer.
Eine Reihe von Versicherern hat schon früher Verträge angeboten, bei denen der Kunde auch bei grober Fahrlässigkeit den Schaden ganz ersetzt bekam. Dazu gehören die Marktführer Allianz und HUK-Coburg. „Wir verzichten auch in Zukunft in der Voll- und in der Teilkasko auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit. Ausnahmen sind Schäden aufgrund von Alkohol- oder Drogeneinfluss und Diebstahl“, sagt Stahl. Lässt ein Fahrer den Autoschlüssel gut sichtbar auf einer Kneipentheke liegen, entfernt sich und werden Schlüssel und Auto gestohlen, zahlte der Versicherer früher nichts und heute einen Teil. Ist der Fahrer volltrunken oder steht unter Drogen, gibt es gar nichts. Aber auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vor dem Landgericht Frankfurt/Oder klagt ein Kunde gegen die HUK-Coburg, weil der Versicherer mit Hinweis auf die 1,1 Promille in seinem Blut den Schaden nicht zahlen will.
Solche Verfahren sind eine Ausnahme. Noch scheinen sich Versicherer und Verbraucher friedlich zu einigen. Beim ADAC sind bislang keine Beschwerden eingegangen. „Die Verbraucher wissen, dass sie früher leer ausgegangen wären“, sagt ADAC-Jurist Kärger.
Auch auf die Kfz-Haftpflicht hat das neue Gesetz Auswirkungen. Verletzt der Kunde seine Pflichten, kann der Versicherer nach Regulierung des Falls von ihm einen Teil des Geldes zurückfordern, maximal 5000 Euro, in sehr schweren Fällen 10 000 Euro. „Es wäre zum Beispiel grob fahrlässig, wenn ein Autohalter jemandem sein Auto leiht, der keinen Führerschein hat“, erklärt Allianz-Justiziarin Stahl. Kommt es zu einem Schaden, kann der Versicherer den Besitzer in Regress nehmen. Bei kleineren Schäden berücksichtigt der Versicherer bei der Höhe der Rückforderung jetzt das Verschulden, bei höheren spielt das nach wie vor keine Rolle.
Anja Krüger
Quelle: Financial Times Deutschland
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