Krisenfolgen treffen Versicherer mit Verzögerung · Umsatzrückgang undNiedrigzinsen lassen Gewinne einbrechen
VON Herbert Fromme, Köln
Nur langsam weicht die Erleichterung der Sorge: Monatelang hatten die deutschen Versicherer gefeiert, dass sie deutlich weniger als die Banken von der Finanzkrise betroffen waren. Sie waren erleichtert, dass hierzulande kein Versicherer in ähnlicher Schieflage wie der US-Gigant AIG hing, der 2008 mit 183 Mrd. $ Staatshilfe gerettet werden musste. Und erleichtert, dass die Erholung der Märkte auch bei schwächelnden Gesellschaften die Lage zumindest vorübergehend beruhigt hat.
Doch jetzt dämmert den meisten, dass die eigentlichen Probleme erst noch kommen. „Wir sehen 2010 einschneidende Herausforderungen auf die Assekuranz zukommen“, sagt Werner Görg, Chef der Gothaer in Köln. „Unsere Kunden haben doch kaum Geld, das sie für Versicherung ausgeben können.“ Wie oft in der Vergangenheit trifft die Krise die Branche mit Verzögerung. Sie muss mit Einbrüchen im Geschäftsvolumen rechnen, erwartet Allianz-Chef Michael Diekmann. „Auf viele Versicherer kommen große Umsatzprobleme zu“, sagt er. Die Allianz sei davon aber nicht betroffen.
Doch tatsächlich dürften einige Gesellschaften Probleme bekommen, bei niedrigen Marktzinsen die gegenüber Lebensversicherungskunden garantierte Verzinsung zu verdienen. Und in der Schaden- und Unfallversicherung, in der Autos, Gebäude, Unfall- oder Haftpflichtrisiken abgedeckt werden – und in der die Assekuranz das meiste Geld verdient -, fallen die Gewinne. Denn hier versuchen alle, in einem schrumpfenden Markt ihren Anteil zumindest zu halten.
Die angespannte Lage zeigt sich auch in der Unruhe in einzelnen Unternehmen: Die zur Munich Re gehörende Ergo-Gruppe rang sich im November dazu durch, die seit Jahren propagierte Vier-Marken-Strategie aufzugeben und künftig vor allem als Ergo anzutreten. Die durch niedrige Kapitalerträge gebeutelte Victoria Lebensversicherung schließt der Konzern gar. Die Stilllegung eines so großen Versicherers, weil er nicht saniert werden kann, ist bislang einzigartig – und dürfte andere Vorstände zum Nachdenken bringen.
Auch das Schwergewicht Talanx baut um. Die HDI-Gerling Leben in Köln wird saniert und operativ mit dem besser dastehenden Bankenvertrieb in Hilden zusammengelegt. Die erst vor zwei Jahren eingerichtete Struktur mit Zwischenholdings löst Talanx schon wieder auf.
Aber auch beim Marktführer Allianz knirscht es hörbar. Zwar läuft es in der Lebensversicherung glänzend – kaum ein Konkurrent kann gegen die Stuttgarter Tochter des blauen Giganten punkten. Aber in der Krankenversicherung und vor allem in der Königsklasse des Schaden- und Unfallgeschäfts verliert das Unternehmen hierzulande seit Jahren Anteile. Im Vorstand der zuständigen Gesellschaft Allianz Versicherung herrscht Krach, die Zuständigkeiten wurden neu verteilt. Die Vertreter sind notorisch unzufrieden.
Die Sparkassen denken zum ersten Mal darüber nach, ob sie ihre Versicherungstöchter wie Provinzial oder SV Versicherung verkaufen sollten. Das wäre ein Tabubruch, aber so gewännen die durch das Landesbankendesaster gebeutelten Institute Handlungsfreiheit. Und beim Deutschen Ring in Hamburg hat eine forsche Neuordnungspolitik des Teileigners Bâloise, gekontert von cleveren Managern der Deutscher Ring Kranken und der Signal Iduna, zu einer grotesken Gemengelage geführt. Jetzt muss die BaFin eingreifen.
Viele einzelne Brennpunkte – aber 2010 dürfte für die Versicherungen eher viel mehr als weniger Unruhe bringen. Es ist wahrscheinlich, dass die seit Jahren nur langsam vorangehende Konzentration in der Branche einen ordentlichen Schub bekommt.
Quelle: Financial Times Deutschland
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