Die Assekuranz steht vor einem Jahr der Entscheidungen. Der Wettbewerb wirdhärter, der politische Gegenwind stärker und die Aufsichtsregeln schärfer
Herbert Fromme
Henry Engelhardt hatte zum deutschen Versicherungsmarkt schon früh eine böse Vorahnung. Anfang 2009 schrieb der Chef des vom Rückversicherer Munich Re unterstützten britischen Internetanbieters Admiral an seine Aktionäre. Er philosophierte über den Autoversicherungsmarkt auf der Insel, der mit seinen ruhigen, stetigen Preiserhöhungen an einen Koalabären erinnere: „Koalas schlafen 16 Stunden am Tag, können ziemlich fies werden, wenn man sie provoziert, und riechen auch ziemlich streng.“
Nicht so phlegmatisch und selten aggressiv wie in Großbritannien sah Engelhardt die Situation in Deutschland, wo Admiral 2007 das Geschäft aufgenommen hatte. Vor den Verhältnissen in Germany hatte der Mann deutlich mehr Respekt. „Der deutsche Markt ist ein sehr merkwürdiges Tier, mit Sicherheit größer und weniger freundlich als ein Koala“, schrieb er. Zwei Jahre später musste der britische Angreifer, der mit Niedrigstpreisen den deutschen Autoversicherungsmarkt aufrollen wollte, unter hohen Verlusten das Feld räumen. Die Reste seines Geschäfts gab er Ende 2010 an die Itzehoer Versicherung ab.
In Großbritannien, Italien, Spanien und jetzt Frankreich geht Admirals Geschäftsmodell auf – in Deutschland nicht. Und das gilt nicht nur für die Autoversicherung selbst. Mit dem zweiten Standbein, dem größten und erfolgreichen britischen Internetpreisportal Confused.com, ist Engelhardt ebenfalls international unterwegs. Deutschland meidet er.
Vielen deutschen Versicherern ist selbst nicht klar, wie wettbewerbsintensiv ihre Branche im internationalen Vergleich geworden ist – und welche weitreichenden Konsequenzen diese Situation haben kann. Paradebeispiel ist die Autoversicherung. Im Jahr 2000 nahm die Branche hier 20,4 Mrd. Euro ein und versicherte damit 51,8 Millionen Fahrzeuge. Im Jahr 2010 verbuchten die Autoversicherer mit 20,2 Mrd. Euro etwas weniger Einnahmen, mussten dafür aber 57,6 Millionen Fahrzeuge versichern. Sicher: Die Unfallzahlen gingen auch zurück, das half etwas – reichte aber nicht aus, um den Preisverfall wettzumachen.
Verschärfend hinzu kommt, dass die Gesellschaften unter den niedrigen Zinsen leiden. „Die Kapitalerträge, die der Kraftfahrtsparte zugerechnet werden können, sind in der langjährigen Betrachtung rückläufig“, sagt Andreas Kelb, Bereichsleiter für den deutschen Markt bei der E+S Rück, die zur Hannover Rück gehört.
Kein Wunder, dass nicht nur der britische Direktversicherer Admiral das Handtuch geworfen hat. Der niederländische Versicherer International Insurance Corporation, der mit den Marken Ineas und Lady Car Online in Deutschland aktiv war, ging 2010 in die Insolvenz. Andere Gesellschaften fahren das Autogeschäft bewusst herunter – auch wenn die Preise sich für 2011 stabilisiert haben.
Doch von den Marktführern denkt niemand daran, freiwillig aufzugeben. Vor allem Platzhirsch Allianz und Angreifer HUK-Coburg schlagen sich um die Kunden. Die beiden liegen gleichauf, HUK-Coburg könnte die Allianz bald an der Spitze ablösen. Doch Allianz-Deutschlandchef Markus Rieß will keineswegs kampflos weichen: „Ich gebe den Anspruch nicht auf, mit der Allianz Marktführer auch in der Kraftfahrtversicherung zu bleiben.“
Noch unübersichtlicher wird die Lage durch neue Wettbewerber, die niemand richtig einschätzen kann. Das Onlinevergleichsportal Check 24 vermittelt jährlich mehr als 400 000 Autopolicen zu Provisionen von 75 Euro bis 100 Euro. Das ist mehr, als mancher Versicherer im Bestand hat. VW versichert über seine Händler Autos, rund 1,1 Millionen Fahrzeuge hat der Hersteller im Bestand. Dass die Allianz als Versicherer agiert, spielt kaum eine Rolle. Der Autobauer macht die Schadenbearbeitung zum größten Teil selbst und könnte, wenn er wollte, sofort als Risikoträger loslegen.
Scharfe Konkurrenz beherrscht auch die Industrieversicherung. Hier gehen seit Jahren die Preise ebenfalls zurück, allerdings von einem hohen Niveau. Die großen Anbieter Allianz, HDI-Gerling, Zurich oder Chartis werden immer wieder von kleineren Spezialisten angegriffen. Auch die Makler üben Druck aus: Sie sind inzwischen nicht mehr nur Vermittler, sondern gestalten Preise und ganze Versicherungsprogramme. Bei sogenannten Pool-Lösungen bündeln Vermittler viele Risiken kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Der Makler Marsh sorgte im vergangenen Jahr für Furore, als er einen Pool mit Risiken aus der Managerhaftpflicht vom US-Versicherer Chartis – früher AIG – abzog und beim Allianz-Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty zu Provisionssätzen von mindestens 25 Prozent für sich platzierte.
Der deutsche Versicherungsmarkt wird erwachsen. Denn diese Form des Wettbewerbs hat er noch nicht erlebt. Bis Anfang der 90er-Jahre unterlag die Branche strikter staatlicher Regulierung. Die Aufsichtsbehörde genehmigte Preise und Bedingungen und achtete darauf, dass jedes Unternehmen auskömmliche Raten verlangte. In den ersten Jahren nach der Deregulierung sorgten hohe Kapitalerträge im Börsenboom dafür, dass die meisten Versicherer trotz freigegebener Preise gut verdienten. Es folgte mit der Aktienkrise 2001 bis 2003 der erste schwere Einbruch. Von ihm erholte sich die Branche aber relativ rasch: Die Preise waren im Aufwind.
Jetzt prallen die Folgen der Finanzkrise von 2008 und strukturelle Probleme des Marktes zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Gefolge der aktuellen Entwicklung zu einer Welle von Übernahmen, Zusammenschlüssen und Geschäftsaufgaben kommt, ist sehr hoch. Dazu tragen die Rahmenbedingungen bei. Die infolge der Krise von Regierungen und Notenbanken künstlich niedrig gehaltenen Zinsen belasten die Lebensversicherer in einem Maß, das sie noch nicht erlebt haben. Und damit nicht genug: Aus Brüssel kommt politischer Gegenwind – EU und Verbraucherschützer wollen die Branche zu mehr Transparenz zwingen.
Als hätten die Versicherer nicht genug Probleme mit der Marktentwicklung, führt die EU-Kommission zurzeit die neuen Eigenkapital- und Veröffentlichungsregeln ein, die EU-weit unter dem Stichwort Solvency II ab 2013 gelten sollen. Die endgültigen Ausführungsbestimmungen stehen noch nicht fest.
Aber die vorerst letzte Testrunde macht wenig Hoffnung. Selbst der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), eigentlich ein aufrechter Unterstützer von Solvency II, wendet sich mit Grausen ab. Wenn Solvency II so umgesetzt werde, führe das zu heftigen Fluktuationen im Eigenkapitalbedarf der Lebensversicherer bei jeder kleinen Zinsänderung, moniert GDV-Geschäftsführer Axel Wehling. Dann könnten deutsche Lebensversicherer weder Zinsgarantien für Jahrzehnte geben, noch langfristig anlegen. Die Solvency-Standardformel zur Risikoberechnung sei „nicht handhabbar“, sagt Wehling. „Sie führt zu Chaos“, kritisiert er.
Jetzt hofft die Branche auf ein Einsehen in Brüssel, die Entschärfung des Regelwerks und großzügige Übergangsfristen. Aber auch das wird nichts daran ändern, dass sich die deutsche Assekuranz in den kommenden drei bis fünf Jahren grundlegend wandeln wird. Gewinnen werden Manager, die ihre Gesellschaften frühzeitig positionieren. Wer abwartet, verliert.
Quelle: Financial Times Deutschland
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