Gericht erzwingt Einheitstarif

Versicherer müssen bis Ende 2012 geschlechtsneutrale Preise anbieten. FürMänner wird es oft teurer, aber auch Frauen zahlen mitunter drauf

Herbert Fromme und Anja Krüger

Die Versicherungsbranche bereitet sich auf den doppelten Schlussverkauf vor. Zum 1. Januar 2012 sinken die staatlich vorgebenen höchstens erlaubten Garantiezinsen in der privaten Renten- und Lebensversicherung von 2,25 auf 1,75 Prozent. Dazu kommt seit gestern ein zweites gewichtiges Argument im Verkaufsgespräch, zumindest für männliche potenzielle Neukunden. Bis Ende 2012 müssen die Versicherer die nach Geschlecht unterschiedenen Tarife abschaffen. Das hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden.

Für Männer könnte der Abschluss einer Rentenversicherung vor Umsetzung des Urteils lohnend sein, werden Vermittler argumentieren. Denn aufgrund ihrer geringeren Lebenserwartung zahlen sie bislang niedrigere Beiträge. Für Frauen könnte es sich dagegen lohnen zu warten, bis die sogenannten Unisextarife auf dem Markt sind. Allerdings gilt: Es ist selten sinnvoll, eine lang laufende Police abzuschließen, weil sie angeblich ein Schnäppchen ist oder wird.

Verbraucherschützer jubeln über die Luxemburger Entscheidung. „Wir bewerten das Urteil positiv“, sagt Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Die Assekuranz ist dagegen sauer. Sie fürchtet, dass mögliche Preiserhöhungen Renten- und Krankenpolicen für Männer weniger attraktiv machen und ihr Neugeschäft darunter leidet.

Die Entscheidung betrifft Risiko-Lebens-, private Renten- und Krankenversicherungen sowie Kfz- und Unfallpolicen. Gerade die Autoversicherung ist das Paradebeispiel für die Versicherer, mit dem sie beweisen wollen, dass Frauen auch Nachteile durch die neue Regelung haben. Denn hier haben sie bislang oft Preisvorteile. Allerdings spielt der Geschlechtsunterschied – zumindest in Deutschland – in der Kfz-Sparte kaum noch eine Rolle. Andere Merkmale wie gefahrene Kilometer oder Größe des Fahrzeugs sind viel wichtiger.

In der Risikolebensversicherung müssen Frauen tatsächlich mit etwas höheren Tarifen rechnen, weil sie selten in jüngeren oder mittleren Jahren sterben und bislang oft weniger zahlen. Männer könnten indes profitieren. In der privaten Rentenversicherung ist es bislang genau umgekehrt. Weil Frauen älter werden und deshalb nach Renteneintritt länger Rente beziehen, müssen sie derzeit mehr einzahlen. Auch das wird sich ändern.

Die Assekuranz argumentiert mit einiger Berechtigung, dass die Preise pro Kopf insgesamt nach oben gehen. „Es wird in der Tendenz teurer, weil die Versicherer mehr Sicherheiten einbauen müssen“, sagte Roland Weber, Finanzvorstand des Versicherungskonzerns Debeka. Männliche Kunden könnten die Policen auflösen und das Geld in einen Fonds anlegen. Dann aber fehlt der Mehrbeitrag dieser Männer, um den Minderbeitrag der Frauen auszugleichen. Für diese Unwägbarkeiten müssen die Versicherer entsprechende Zuschläge einrechnen – zumindest für eine Übergangszeit können Unisextarife im Schnitt für Männer und Frauen teurer sein als die bisherigen Tarife.

Verbraucherschützer Gatschke wirft den Versicherern vor, bislang stur an den geschlechtsspezifischen Tarifen festgehalten zu haben. Sie hätten keine ausreichend langen Zeitreihen zur Berechnung der Risiken ohne Geschlechterzuordnung. „Jetzt steht man vor dem Scherbenhaufen“, sagt er.

Große Probleme kann die Entscheidung den privaten Krankenversicherern bereiten. Sind erst einmal Unisextarife eingeführt, könnten viele Frauen in die für sie dann günstigeren Tarife wechseln. „Damit wäre der Tarif dann unterkalkuliert“, sagt Debeka-Vorstand Weber. Damit das nicht geschieht, müssten diese Tarife ungeheuer teuer werden. Weber fordert deshalb, dass die neuen Regeln auch für den Bestand gelten. „Die Unisextarife sollten rückwirkend für alle Verträge eingeführt werden“, sagt er. Vorbild könne die Verteilung der Schwangerschaftskosten sein, die infolge des Antidiskriminierungsgesetzes auf Männer und Frauen umgelegt werden mussten. Auch dafür wurden alle bestehenden Tarife geändert.

Quelle: Financial Times Deutschland

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