Branche mahnt Gesetzesänderung an // Beteiligung der Kunden an stillen Reserven verschärft Niedrigzinsspirale
Herbert Fromme , Köln
Die deutsche Versicherungswirtschaft dringt nach FTD-Informationen bei der Bundesregierung auf eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Es enthält Vorschriften, die wie ein Brandbeschleuniger in der Niedrigzinsphase wirken: Die Pflicht der Gesellschaften, ihren Kunden jährlich die Hälfte der stillen Reserven auf Wertpapiere gutzuschreiben, führt ihrer Ansicht nach zu heftigen Verwerfungen. Entsprechende Gespräche werden zurzeit geführt, hieß es in Branchenkreisen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft erklärte dagegen, Eilaktionen seien nicht nötig – wie etwa 2002, als die Versicherer rasch eine Änderung des Handelsgesetzbuchs brauchten, um existenzgefährdende Abschreibungen zu vermeiden. „Dass wir diese Regelungen des VVG für falsch halten, haben wir schon seit dessen Einführung erklärt“, sagte eine Sprecherin.
Die Branche will derzeit auf keinen Fall den Eindruck erwecken, es gebe dringenden Handlungsbedarf. Die Versicherer geben sich krisenfest und versuchen, sich so von den Banken zu distanzieren. Dabei ist auch die Assekuranz durch die anhaltend niedrigen Zinsen schwer gebeutelt: Bei Vertragsabschluss garantiert sie ihren Kunden mit klassischen Lebensversicherungen eine Verzinsung des Sparanteils ihrer Prämie. Er macht meistens rund 80 Prozent der Beiträge aus, der Rest geht für Kosten und Risikoschutz drauf. Die Garantie lag lange bei drei Prozent, einige Jahre sogar bei vier Prozent. Im Januar sinkt sie von heute 2,25 Prozent auf 1,75 Prozent.
Heute haben die Gesellschaften über alle Garantiegenerationen hinweg durchschnittlich 3,3 Prozent zugesagt – erhalten aber auf neu angelegte Gelder in Bundesanleihen nicht einmal zwei Prozent. Aktien meiden sie, weil sie sich damit die Finger verbrannten und außerdem unter neuen Aufsichtsregeln dafür viel Eigenkapital vorhalten müssten.
Zwar erzielen die meisten Gesellschaften heute noch Nettoverzinsungen von über vier Prozent auf ihre Kapitalanlagen, weil sie besser verzinste Altpapiere im Bestand haben. Doch die laufen aus, der Einfluss der Niedrigzinsen verstärkt sich stetig. Die VVG-Regeln zu den stillen Reserven beschleunigen den Trend: Stille Reserven entstehen, wenn der Marktwert eines Papiers höher ist als der Wert, mit dem der Versicherer es in der Bilanz hat. Jahrelang hatten sich Verbraucherschützer darüber geärgert, dass diese Reserven für Kunden nicht transparent waren und sie auch nicht ausreichend beteiligt wurden.
Dabei hatten sie vor allem Aktien im Auge, an deren Wertsteigerung Versicherungskunden in der Vergangenheit kaum partizipierten. Doch in Zeiten fallender Zinsen schafft die Vorschrift große Probleme bei festverzinslichen Anlagen – also der Masse des Bestands. Die sollen nach dem Willen der Assekuranz jetzt weitgehend von den Regeln zur Kundenbeteiligung ausgenommen werden. Das Problem: Viele Versicherer halten Wertpapiere, die sie vor Jahren gekauft haben – zu einst höheren Zinsen. Wegen der heutigen Niedrigzinsen sind die alten Papiere heute mehr wert als beim Kauf, es entstehen stille Reserven. Zwar verschwänden die auch wieder, wenn die Gesellschaft die Anleihen bis zur Fälligkeit halten könnte. Doch es gilt: Die Gesellschaften müssen ihre Kunden sofort an den Reserven beteiligen. Um diese Reserven aber zu realisieren, müssen die ersten Versicherer bereits die Papiere verkaufen. Die Hochzinspapiere werden abgegeben, die Kunden am Gewinn beteiligt, der größte Teil neu angelegt – zu deutlich niedrigeren Zinsen.
Selbst mit einer Gesetzesänderung bliebe die Lage schwierig. Bei den demnächst anstehenden Erklärungen der Gesellschaften, mit welchem Zinssatz sie die Kundenguthaben 2012 bedienen, dürfte es zu einer breiten Absenkung kommen. Zurzeit schreiben die Versicherer im Schnitt 4,1 Prozent gut. Das wird 2012 sehr wahrscheinlich weniger werden. Das heißt aber auch, dass Privatrenten sinken und die Policen weniger konkurrenzfähig sind.
Eine marktweite Absenkung der Überschussbeteiligungen erwartet Norbert Heinen, Vorstand der Wüstenrot & Württembergische. „Wenn man für zehnjährige Bundesanleihen wie jetzt 1,8 Prozent bekommt, kann man nicht über vier Prozent gutschreiben“, sagte Heinen. Seine Gesellschaft hatte schon 2010 auf 3,5 Prozent gesenkt.
Quelle: Financial Times Deutschland
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