Tagegeld und Berufsunfähigkeitspolicen greifen nicht nahtlos ineinander //Kunden sollten Versicherer rechtzeitig informieren
Ilse Schlingensiepen
Berufstätige, die mit einer Krankentagegeld- und einer Berufsunfähigkeitsversicherung für den Fall einer längeren Krankheit vorgesorgt haben, sollten sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn ungewollt können zwischen beiden Abdeckungen Lücken entstehen.
Diese Erfahrung musste auch ein selbstständiger PR-Berater machen. Dabei hatte der Arzt keinen Zweifel gelassen: Aufgrund einer schweren Depression würde der Mann nicht mehr in seinem Beruf arbeiten können. Der Patient wollte es nicht wahrhaben. Zwar war er schon seit mehr als zwei Jahren krank, aber berufsunfähig mit Mitte 40? Der Mann ignorierte die Auskunft des Arztes und unternahm erst einmal gar nichts. Nach einiger Zeit teilte ihm der Krankentagegeldversicherer mit, dass die Zahlungen in drei Monaten eingestellt würden, weil ein ärztliches Gutachten Berufsunfähigkeit bescheinigt hatte. Zwar hatte der PR-Experte auch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Diese zahlte aber nicht sofort.
Solche Fälle sind keine Seltenheit, weiß Versicherungsjurist Arno Schubach. „Zwischen den Krankentagegeldleistungen und dem Beginn der Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung können Lücken entstehen“, sagt der Koblenzer Rechtsanwalt, der Versicherungskunden und -anbieter vertritt. Haben die Versicherten kein finanzielles Polster, kann es in der Wartezeit eng werden.
Schubachs Empfehlung: Wenn bei einer längeren Krankheit eine Berufsunfähigkeit droht, sollte der Versicherte vorsorglich Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beantragen. „Wenn sich die gesundheitliche Situation bessert, kann man den Antrag problemlos zurückziehen.“ Der Kunde verliert so aber keine wertvolle Zeit. Denn wird eine Berufsunfähigkeit angezeigt, schaltet der Versicherer erst einmal einen Sachverständigen ein und wartet dessen Gutachten ab.
In den meisten Fällen ist das Krankentagegeld höher als die Berufsunfähigkeitsdeckung. Das verleitet manche dazu, den Übergang hinauszuzögern. „Wer versucht, auf das höhere Krankentagegeld zu schielen, erleidet in der Regel Schiffbruch“, warnt Schubach. Zwar zahlt der Berufsunfähigkeitsversicherer gegebenenfalls rückwirkend. „Ist in diesem Zeitraum Krankentagegeld geflossen, kann es sein, dass der Kunde das zurückzahlen muss.“ Problematisch ist das vor allem dann, wenn das Tagegeld bereits ausgegeben wurde und der Berufsunfähigkeitsversicherer weniger zahlt. Schubach erinnert sich an den Fall einer an Krebs erkrankten Frau, die 9000 Euro Krankentagegeld zurückzahlen musste. Ihre monatliche Berufsunfähigkeitsrente betrug aber nur 800 Euro.
Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, weist auf ein weiteres Problem hin: „Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherer legen zum Teil unterschiedliche Definitionen von Berufsunfähigkeit zugrunde.“ Die Krankentagegeldversicherung leistet bei Krankheiten, die den Versicherten vorübergehend daran hindern, seinen Beruf auszuüben. Zeichnet sich eine dauerhafte Berufsunfähigkeit ab, stellt der Versicherer die Leistungen ein. Der Berufsunfähigkeitsversicherer zahlt, wenn der Kunde seinen Beruf dauerhaft nur noch zu maximal 50 Prozent ausüben kann, knüpft die Leistungen aber häufig an Bedingungen. „Es gibt immer noch viele Versicherer, die Kunden auf andere Tätigkeiten verweisen“, sagt Wortberg. Zwar verzichten viele Anbieter inzwischen bei Neuverträgen auf das Prinzip der abstrakten Verweisung, sie haben aber noch viele alte Verträge mit entsprechenden Klauseln im Bestand.
„Bei Altverträgen sollte man mit dem Versicherer über eine Umstellung reden“, rät Jurist Schubach. Er und auch Wortberg empfehlen, Krankentagegeld und Berufsunfähigkeit beim selben Anbieter zu versichern. Streitfragen tragen die Unternehmen dann untereinander aus und nicht auf dem Rücken der Versicherten.
Hauptzielgruppe für Krankentagegeldpolicen sind Freiberufler und Selbstständige. Die Policen können aber auch für gut verdienende Angestellte sinnvoll sein, die privat krankenversichert sind. Während es bei den gesetzlichen Krankenkassen nach dem Fortfall der sechswöchigen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber ein Krankengeld gibt, gehört eine solche Leistung nicht zum Standardumfang der privaten Krankenversicherer.
Beim Berufsunfähigkeitsschutz sollten Versicherte darauf achten, dass der Vertrag eine Nachversicherungsgarantie enthält, empfiehlt Verbraucherschützer Wortberg. So können die Kunden die Höhe der Leistung dem beruflichen Werdegang anpassen.
Quelle: Financial Times Deutschland
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