Die Krise trifft auch die Versicherungsbranche. Frische Antworten sind deshalb nötig
Herbert Fromme
Rolf-Peter Hoenen trat selbstbewusst auf. „Wir sind stabil aus der Krise gekommen“, rief er Versicherungsmanagern und Politikern zu, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Die Probleme des Bankensektors sind nicht auf uns ausgestrahlt. Unsere Beitragseinnahmen wachsen.“ Das war vor einem Jahr bei der Mitgliederversammlung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am 18. November 2010.
In vier Wochen, am 17. November 2011, wird GDV-Präsident Hoenen erneut bei der Mitgliederversammlung reden. Seine Botschaft dürfte gedämpfter ausfallen. Denn die deutschen Versicherer sind in keiner beneidenswerten Lage: Umsatzrückgang wegen des Einbruchs bei den Einmalbeiträgen, harte Konkurrenz und preisbewusste Kunden, Kriseneinschläge bei den Kapitalanlagen.
Dazu kommt die Einführung des neuen Aufsichtssystems Solvency II mit Sisyphusarbeiten für Unternehmen bei Datensammlung und Aufsichtsberichten. Außerdem spürt die Branche Imageprobleme durch Skandale bei der Munich-Re-Tochter Ergo und Vorwürfe von Falschberatung sowie zögerlicher Schadenbearbeitung gegen eine ganze Reihe von Gesellschaften. Die privaten Krankenversicherer spüren Gegenwind von allen Seiten und müssen fürchten, dass ihr Kerngeschäft, die Krankenvollversicherung, per Gesetz abgeschafft wird.
Die Assekuranzmanager haben Recht, wenn sie betonen, dass die Versicherer sehr gut mit Eigenmitteln ausgestattet sind. Und die Branche hat einen weiteren großen Vorteil gegenüber den Banken: Sie verfügt durch die Beiträge über laufende, hohe Bargeldströme. Sie ist nicht auf Refinanzierungen angewiesen.
Dennoch: Die aktuelle Finanzkrise geht nicht spurlos an den Versicherern vorbei. Die Direktanlagen in griechischen Staatsanleihen sind zwar keine Bedrohung. Knapp 3 Mrd. Euro haben Versicherer dort angelegt, bei Gesamtanlagen von mehr als 1300 Mrd. Euro. Doch in anderen Ländern ist das Engagement höher. Die Finanzaufsicht BaFin hat die zehn größten Versicherer zu Investitionen in Staatsanleihen Portugals, Irlands, Italiens, Griechenlands und Spaniens befragt. Das Ergebnis, so Rolf Wenzel, Ministerialdirektor im Bundesfinanzministerium: „Das sind zusammen elf Prozent ihrer weltweiten Kapitalanlagen.“ Da stehen Milliarden im Feuer.
Das spüren Allianz, Munich Re und andere große Gesellschaften auch schon in ihren Quartalsabschlüssen, in denen sich Verluste aus Abschreibungen finden. Dazu kommt die Ansteckungsgefahr durch die Probleme der Banken, sagt Wenzel. Die zehn großen Versicherer „haben bis zu 55 Prozent ihrer Kapitalanlagen bei Banken investiert“. Gehen Banken pleite, geraten Versicherer in große Schwierigkeiten.
Doch am schwersten treffen die niedrigen Zinsen die Assekuranz. „Wir glauben, dass ein Szenario anhaltender niedriger Zinsen die größte Bedrohung für die Finanzstärke deutscher Versicherer ist“, sagt Christian Badorff, Analyst bei der Ratingagentur Standard & Poor’s. Nicht alle sind gleichermaßen betroffen. „Lebensversicherer sind mehr unter Druck als die Schaden- und Unfallversicherer“, sagt Badorff. Denn die Lebensversicherer haben ihren Kunden mit klassischen Lebens- oder Rentenpolicen Garantieverzinsungen zugesagt, die sie mit Neuanlagen schwer verdienen.
Eine ganze Reihe von Gesellschaften reagiert mit Kostensenkungsprogrammen. Vorreiter ist die Axa Deutschland, die innerhalb von vier Jahren 1500 von 9000 Vollzeitstellen abbauen will.
Aber die meisten Manager wissen, dass Kostensenkung allein die Zukunft ihrer Unternehmen nicht sichert. Sie müssen ihre Produkte überarbeiten, kluge Antworten auf die neuen Vorgaben aus Brüssel und Berlin zu Provisionen und Offenlegung haben und ihre Vertriebssysteme vereinfachen.
Zum Beispiel Lebensversicherung: Die bisherigen lebenslangen Garantien sind künftig nur schwer zu stemmen. Norbert Heinen, Vorstandsmitglied des Finanzkonzerns Wüstenrot und Württembergische, schlägt Befristungen der Garantien oder relative Garantien vor, etwa für 60 Prozent der Verzinsung von Bundesanleihen. „Das ist für den Versicherer eine wesentlich schwächere Garantie als die 1,75 Prozent, aber kann für den Kunden durchaus attraktiv sein, weil er dann auch von Zinssteigerungen profitiert“, sagt Heinen.
Die Probleme des Ergo-Konzerns haben den Unternehmen gezeigt, wie wichtig ein gut funktionierendes Reputationsmanagement ist. Und schließlich müssen sie sich über Änderungen im Vertrieb Gedanken machen – kommen EU und Teile der Bundesregierung mit ihren Plänen durch, die Honorarberatung zulasten der Provisionsberatung zu fördern, brauchen viele Versicherer neue Absatzkanäle. Das Internet gehört dazu, die Vergleichsportale wachsen rasant.
Schließlich investieren vorausschauende Firmen seit Jahren kräftig in ihre Datenverarbeitung. Das ist einmal nötig, um mit neuen Anforderungen der Aufsicht fertig zu werden, vor allem den Eigenkapitalregeln Solvency II. Aber noch mehr benötigen die Unternehmen gute IT-Systeme, um angesichts der scharfen Konkurrenz schneller mit neuen Angeboten auf dem Markt zu sein. Wer als Autoversicherer auf die Marktführer HUK-Coburg und Allianz erst mit einem halben Jahr Verspätung reagieren kann, hat schon verloren.
Besonders gute Chancen haben in den kommenden Monaten mittelgroße Gesellschaften mit starken Schadenversicherern, gutem Bank- und Maklervertrieb und modernen internen Systemen. Die ganz großen Tanker werden von der Finanzkrise wegen der internationalen Aufstellung eher gebeutelt, sehr kleine Versicherer haben Probleme, die vielen Anforderungen durch Solvency II zu stemmen. Für die Mitte ist viel Platz.
Quelle: Financial Times Deutschland
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