Die Finanzkrise verschärft die strukturellen Probleme der Assekuranz. GroßeÄnderungen stehen an
Herbert Fromme
Jeden Abend nach dem „Heute-Journal“ hat Peter Endres seinen Auftritt. Der Chef der Ergodirekt Versicherung kündigt in einem Werbespot das Wetter im Zweiten an. Schon einmal hatte Ergodirekt – bis 2010 noch Karstadt Quelle Versicherung – im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Wetterpresenter für Aufmerksamkeit gesorgt, damals in der ARD. „Wir waren mit der positiven Wirkung auf unsere Markenbekanntheit sehr zufrieden“, sagt Endres.
Die Gesellschaft aus Nürnberg gehört zum Ergo-Konzern, der seinerseits Teil der Munich Re-Gruppe ist. Kein Versicherer ist zurzeit so umstritten in der eigenen Branche – nicht einmal Marktführer Allianz, an dem sich kleinere Konkurrenten sonst gerne reiben. Hauptgrund für den Zorn vieler Wettbewerber ist die freche Werbekampagne von Ergo. Sie verspricht einen völlig neuen, kundenfreundlichen Versicherer und sagt damit gleichzeitig, dass die gesamte Konkurrenz aus verschnarchten, bürokratischen Unternehmen bestehe. Pech für Ergo, dass die Kampagne 2011 durch eine Reihe schwerer Skandale konterkariert wurde, vor allem die Belohnungsreise von Verkäufern nach Budapest, bei der die Firma Prostituierte bezahlte. Unangenehm auch, dass sich – trotz vollmundiger Werbeversprechen – für Ergo-Kunden und Vermittler wenig geändert hat.
Deshalb ist die Empörung der Konkurrenz im Kern berechtigt. Aber bei den Zornesausbrüchen ausgewachsener Vorstandsmitglieder spielt etwas Anderes eine große Rolle. Viele haben das dumpfe Gefühl, dass Ergo in seiner Werbung auf tatsächlich existierende Vorbehalte und Unmut bei den Kunden reagiert. Die Manager sehen zwar die Probleme ihrer Branche. Ihnen ist klar, dass etwas Grundsätzliches nicht stimmt. Aber sie schieben ihr Unbehagen beiseite. Jetzt haben sie erst einmal Anderes zu meistern, finden sie. „Wir Versicherer spüren zunehmend die Auswirkungen der Krise“, sagt Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Abschreibungen auf Bankpapiere und Staatsanleihen sorgten bei Marktführer Allianz schon für eine Gewinnwarnung, beim Rivalen Munich Re bereits für einen Ergebniseinbruch. Andere Gesellschaften werden folgen.
Doch die aktuelle Finanzkrise verstärkt die langfristigen Probleme der Branche nur, sie ist nicht der Auslöser. Wahr ist: Wer jetzt auf die strukturellen Defizite reagiert, hat die besten Chancen, als Gewinner aus der Krise herauszukommen.
Beispiel Produkte. Inzwischen gilt die klassische Lebensversicherung in den meisten Häusern als unattraktiv. Niedrige Zinsen bei vergleichsweise hohen Garantien sorgen für Probleme. Norbert Heinen von der Wüstenrot und Württembergischen hat schon im September 2011 angekündigt, mit neuen Policen auf den Markt zu kommen, bei denen die Garantien nicht mehr für die gesamte Laufzeit der Police fix sind oder von der Verzinsung der Staatsanleihen abhängen. Jetzt hat auch Ergo-Chef Torsten Oletzky bekannt gegeben, dass er mit neuen Vertragstypen 2013 auf den Markt kommen will. Nicht nur in der Lebensversicherung müssen sich die Unternehmen zu neuen Angeboten verhalten. Policen mit Werkstattbindung, Rechtsschutz mit Anwaltsempfehlung – wer da nicht mitmacht, braucht eine andere, glaubwürdige Strategie.
Beispiel Vertrieb. Den meisten Versicherern dämmert, dass die momentane Vertriebsstruktur mit mehr als 260 000 registrierten Vermittlern kaum so bleiben wird. Das Internet und die Automobilindustrie sorgen in der Kfz-Versicherung für gewaltige Umwälzungen – Vergleichsportale gewinnen hunderttausende von Neukunden, Autohändler verkaufen mit Neuwagen auch Finanzierungs- und Versicherungspakete. Aber gestandene Vermittler setzen kaum noch Autopolicen ab.
Dazu kommen Veränderungen, die Verbraucherschützer, EU-Kommission und Bundesregierung auf den Weg gebracht haben und bringen werden. In den nordischen Ländern sind Provisionen für die meisten Versicherungsangebote verboten, in den Niederlanden werden sie ab 2013 stark eingeschränkt. Großbritannien, der Hort der Versicherungskultur und der privaten Altersvorsorge, beschränkt den provisionsgetriebenen Verkauf von Lebensversicherungen – dort gibt es übrigens weniger als 30 000 Vermittler. In Deutschland sorgen hohe Kündigungsquoten dafür, dass sich Politiker Gedanken machen. Wenn mehr als 50 Prozent der Kunden ihre Verträge für die Altersvorsorge nicht durchhalten, stimmt mit dem System etwas nicht. Der Gesetzgeber hat auf die Provisionsexzesse in der privaten Krankenversicherung bereits reagiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch in der Lebensversicherung die Abschlussprovisionen abgeschafft oder zumindest stark beschränkt werden. Das wäre das Ende für viele Strukturvertriebe und würde den großen gebundenen Verkaufsorganisationen der Versicherer das Leben deutlich erschweren. Eine Antwort darauf hat bislang kaum eine Gesellschaft.
Manche Manager sehen auch keine Notwendigkeit zu grundlegenden Veränderungen. Für sie ist die positive Entwicklung des Verkaufs von Lebensversicherungen im vierten Quartal Beleg dafür, dass sich die Lage beruhigt und die Branche zu alten, goldenen Zeiten zurückkehrt. Hier sind schwere Enttäuschungen vorprogrammiert.
Quelle: Financial Times Deutschland
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