EU-Parlament weicht neue Kapitalregeln Solvency II auf // Grünen-Experte mitscharfer Kritik
Herbert Fromme , Köln
Europas Assekuranz benötigt rund 100 Mrd. Euro weniger an versicherungstechnischen Rückstellungen, weil ihre Lobbyisten in letzter Minute wichtige Änderungen an den Regeln für die neuen Solvency-II-Kapitalvorschriften durchgesetzt haben. Diese Zahl nannte der deutsche Grünen-Abgeordnete Sven Giegold gestern in einer Telefonkonferenz. Er ist wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament. „Entsprechend brauchen die Versicherer auch weniger Eigenmittel“, sagte Giegold. Bei den 100 Mrd. Euro handele sich um eine grobe Schätzung, fügte er hinzu. „Sie beruht aber auf dem, was die Versicherer selbst sagen.“
Giegold äußerte sich nach der Verabschiedung der sogenannten Omnibus-II-Richtlinie durch den Wirtschafts- und Währungsausschuss des Parlaments. Damit werden die letzten noch fehlenden rechtlichen Grundlagen der neuen Aufsichts- und Kapitalregeln für Versicherer gelegt. Jetzt folgt der finale Abstimmungsprozess zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, dem Europäischen Parlament und der Brüsseler Kommission. Dann soll das Regelwerk dem Plenum des Straßburger Parlaments zur Abstimmung vorgelegt werden. Mit den Regeln wollen die EU-Mitgliedsländer die Versicherer künftig krisenfester machen.
„Das ist ein guter Tag für die Versicherer und ihre Lobby und ein schlechter Tag für die Versicherten und die Steuerzahler“, sagte Giegold. Er bezog sich auf Änderungen am ursprünglichen Entwurf von Solvency II. Die Verhandlungsführer der beiden größten Parteien im EU-Parlament, der Konservative Burkhard Balz und der Sozialist Peter Skinner, hatten sich am Donnerstag auf Erleichterungen für die Versicherer bei langfristigen Verträgen geeinigt. Die beiden wichtigsten Instrumente sind die „Matching Premium“ sowie die „Antizyklische Prämie“.
Experten begrüßen die Änderungen. „Die heutige Abstimmung ist eine große Erleichterung für die Versicherer“, sagte Janine Hawes von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG der Agentur Reuters. „Die Branche hat wichtige Schlachten gewonnen.“ Giegold dagegen warf Balz und Skinner vor, nationale Sonderinteressen vertreten zu haben. „Die Matching Premium nützt vor allem britischen und spanischen Versicherern, die antizyklische Prämie kommt französischen und italienischen Unternehmen entgegen“, sagte er.
Italienische Versicherer würden durch eine „absolut ungerechtfertigte“ Extrabehandlung von Beteiligungen Gewinne einfahren, den deutschen nützten andere Ausnahmeregeln. Es habe sich um „Lobbyfestspiele“ gehandelt, sagte Giegold. Dabei sei nur die Assekuranz aktiv gewesen. „Verbraucherschützer sah man nicht.“
Vor den Änderungen der vergangenen Woche habe es einen „ausgewogenen Kompromiss“ zwischen den Interessen der Versicherer und dem Allgemeinwohl gegeben. „Jetzt haben wir ein Beispiel für schlechte Regulierung.“ Deshalb fehle die europäische Antwort der Versicherer auf die Krise.
Quelle: Financial Times Deutschland
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