Firmen wollen mit Zusatzpolicen punkten. Mitarbeiter müssen erst überzeugtwerden
Ilse Schlingensiepen
Müssen die Beschäftigten des Autozulieferers GKN Sinter Metals ins Krankenhaus, kommen sie in ein Zweibettzimmer und der Chefarzt kümmert sich um sie. Für die Vorzugsbehandlung müssen die Mitarbeiter nicht selbst in die Tasche greifen, das übernimmt die Firma.
Seit dem 1. Oktober 2010 hat das Unternehmen aus Radevormwald eine betriebliche Krankenversicherung für rund 1600 Mitarbeiter an sechs Standorten. Sie umfasst neben der besseren Krankenhausversorgung auch höhere Erstattungen beim Zahnersatz und zusätzliche Vorsorgeleistungen. GKN Sinter Metals schließt das Versicherungspaket für alle Mitarbeiter ab, die mindestens seit einem Jahr dabei sind, einen unbefristeten Anstellungsvertrag haben und gesetzlich krankenversichert sind.
Im Krisenjahr 2009 hat sich das Unternehmen vom bisherigen System der Ausschüttung übertariflicher Prämien verabschiedet und nach einem neuen Konzept gesucht. Da entstand die Idee einer zusätzlichen privaten Krankenversicherung für die Belegschaft, berichtet Projektleiterin Maike Theine. „Wir wollten etwas Neues, das den Mitarbeitern tatsächlich zugutekommt“, sagt sie.
Die Unternehmensleitung holte die Arbeitnehmervertreter ins Boot, beide Seiten schlossen eine Betriebsvereinbarung. Bei den Beschäftigten stieß die Initiative aber nicht nur auf Zustimmung. „Viele fanden es problematisch, dass die Versicherung obligatorisch ist“, sagt Theine. Das Unternehmen hatte sich dafür entschieden, weil die Versicherer – die Süddeutsche Krankenversicherung und die Arag – im Gegenzug auf die Gesundheitsprüfung und auf Wartezeiten verzichten. Beides ist sonst bei privaten Zusatzversicherungen üblich.
Auf wenig Begeisterung stieß auch die Tatsache, dass die betriebliche Krankenversicherung zunächst als geldwerter Vorteil versteuert werden musste. Das hat ein Urteil des Bundesfinanzhofs aber geändert, der Benefit ist jetzt steuerfrei.
Doch nicht nur deshalb wird der Zusatzschutz über das Unternehmen inzwischen von den meisten als Vorteil gesehen. Geholfen haben vor allem Berichte von Mitarbeitern, die bereits Leistungen in Anspruch genommen haben. „Die Leute sehen jetzt: Wir haben da etwas Besonderes“, sagt Theine. Sehr wichtig für den Erfolg sei die Unterstützung durch die Betriebsräte gewesen.
Uwe Jüttner ist Krankenversicherungsexperte beim Makler Aon und hat die Umsetzung des Konzepts bei GKN Sinter Metal von Anfang an begleitet. Für ihn stehen die Vorteile außer Frage. „Der Mitarbeiter bekommt über den Arbeitgeber einen Versicherungsschutz, den er aufgrund einer Vorerkrankung sonst vielleicht nicht bekommen würde.“ Außerdem könnten sich viele die Policen sonst gar nicht leisten, sagt Jüttner.
Versicherer bieten sowohl arbeitgeberfinanzierte Varianten wie bei GKN Sinter Metals an als auch solche, bei denen die Arbeitnehmer die Prämien selbst zahlen, durch den Abschluss über die Firma aber deutlich günstigere Bedingungen erhalten.
Aon verzeichnet ein steigendes Interesse. „Wir haben deutlich mehr als 100 Anfragen innerhalb eines Jahres gehabt“, berichtet Jüttner. Gerade bei mittelgroßen Firmen mit 300 bis 350 Mitarbeitern sei die Nachfrage groß. „Viele haben gemerkt, dass sie eventuelle Standortnachteile ausgleichen müssen, insbesondere, wenn sie keine Lohnsteigerungen anbieten können.“ Bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern nehme der Stellenwert der betrieblichen Krankenversicherung stetig zu.
Diese Erfahrung macht auch Michael Braun, Leiter Health Insurance beim Beratungsunternehmen Mercer in Deutschland, das zum Makler Marsh & McLennan gehört. Gerade hoch qualifizierte Kräfte würden vor einem Wechsel des Arbeitgebers nach besonderen Benefits fragen. „Wenn der Arbeitgeber anbietet, für ein Einbettzimmer mit Chefarztbehandlung zu sorgen, dann kann das ein Argument sein.“ Zwar seien Gehalt und Arbeitsbedingungen immer noch das Wichtigste, aber das Thema Gesundheit gewinne an Bedeutung, sagt er.
Der Kampf um gute Köpfe spiele für die Personalverantwortlichen in den Unternehmen eine zentrale Rolle, sagt Michael Kurtenbach, Vorstandschef der Gothaer Krankenversicherung. Dabei gehe es immer häufiger um das Thema Gesundheit. „Die betriebliche Krankenversicherung ist ein Signal an die Mitarbeiter: Wir kümmern uns auch um die gesundheitliche Versorgung“, sagt er. Bei arbeitgeberfinanzierten Leistungen sei die Krankenversicherung ein deutlich günstigerer Einstieg als die betriebliche Altersvorsorge.
Wachsende NachfrageDas steigende Interesse an Zusatzversicherungen für Mitarbeiter zeige, dass Unternehmen sich mehr als früher anstrengen müssten, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, sagt Klaus Henkel, Chef der Süddeutschen Krankenversicherung. „Das ist ein zukunftsträchtiges Geschäft“, sagt er. Allein in den ersten vier Monaten 2012 hat der Versicherer gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein Plus von 118 Prozent bei den Monatsbeiträgen verzeichnet. Und: Das Belegschaftsgeschäft wachse deutlich stärker als die Einzelversicherungen. „Das zeigt, dass der Bedarf da ist“, sagt Henkel. Der Versicherer bietet arbeitgeber- und arbeitnehmerfinanzierte Varianten an. „Es gibt einen zunehmenden Trend zur Arbeitgeberfinanzierung“, berichtet er.
Für Maike Theine von GKN Sinter Metals steht nach anderthalb Jahren Erfahrung mit der betrieblichen Krankenversicherung fest: „Wir würden es auf jeden Fall wieder machen.“ Daran ändern auch die anfänglichen Widerstände der Belegschaft nichts. Zunächst sei der Aufwand zwar groß gewesen, jetzt laufe die Sache aber rund. „Wir können das anderen Unternehmen nur empfehlen“, sagt Theine.
Quelle: Financial Times Deutschland
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