Beim Produktrückruf verdient die Assekuranz gut. Sie fürchtet vor allemKumulschäden
Salmonellen in der Curryzubereitung, Airbags, die sich nicht öffnen – fast täglich erfahren Verbraucher über die Medien von Gefahren in Lebensmitteln, bei Kinderspielzeug oder Autoteilen. Was für die Hersteller schnell zu einem Imageproblem wird, kann für Rückversicherer wie Munich Re, Swiss Re oder Hannover Rück teuer werden.
Sie sichern Gesellschaften wie die Allianz, Axa oder HDI-Gerling gegen Großschäden ab. Nimmt ein Kfz-Zulieferer seine Produktrückrufpolice in Anspruch, kann der Schaden für den Erstversicherer in die Millionen gehen. Um die Belastung nicht allein tragen zu müssen, gibt die Gesellschaft einen Teil Risikos und damit des Schadens an die Rückversicherer weiter.
Die Rückversicherer fürchten vor allem Kumulschäden. Sind zum Beispiel Grundstoffe von Lebensmitteln kontaminiert, kann das die Produkte zahlreicher Hersteller schädigen. Stellt ein Produzent von Gewürzmischungen fest, dass das Paprikapulver Schadstoffe enthält, müssen die Rückversicherer für die Rückrufkosten vieler Beteiligter aufkommen – für die Hersteller von Fertigpizzen, für Restaurants, für Supermärkte. „In besonders exponierten Branchen haben solche Ereignisse für Erst- und Rückversicherer Totalschadenpotenzial, weil die gesamte Deckungssumme aufgebraucht wird“, sagt Alfred Sattler, Risikoberater im Bereich Haftpflichtversicherung der Munich Re.
Auch die Kfz-Zulieferindustrie ist stark gefährdet. „Hier geht es um hohe Stückzahlen von Bauteilen, die an eine Vielzahl von Autoherstellern geliefert werden“, sagt Stefan Scholz vom Versicherungsmakler Aon. Besonders heikel wird es, wenn sicherheitsrelevante Teile betroffen sind wie Airbag- oder Bremssysteme. Der Austausch defekter und der Einbau neuer Teile ist für die Rückversicherer besonders kostspielig.
Immer teurere SchadenfälleDie Schäden durch Rückrufe steigen seit Jahren an, sagt Scholz. „Grund sind immer arbeitsteiligere Herstellungsweisen und kompliziertere und ausgefeiltere Techniken bei der Produktion“, sagt er. Versicherungsmann Sattler von Munich Re beobachtet einen anderen Trend. „Die Zahl der Schäden steigt nicht an, die Schäden werden aber immer teurer“, sagt er.
Dazu kommen strengere rechtliche Rahmenbedingungen. Seit Ende 2011 gilt in Deutschland ein neues Produktsicherheitsgesetz. „Es erlaubt Behörden striktere Kontrollen im Sinne des Verbraucherschutzes“, sagt Scholz.
Deswegen prüfen die Erstversicherer die Risiken ihrer Kunden auf Druck der Rückversicherer genau, bevor sie ihnen eine Deckungszusage geben. Besonders wichtig ist dem Rückversicherer ein professionelles Schadenmanagement des Kunden und des Herstellers. Schon bevor ein Mangel festgestellt und ein Produkt zurückgerufen wird, soll ein Notfallplan vorliegen. Zentrale Fragen sind: Wie viele Produkte könnten betroffen sein? Wohin sind sie ausgeliefert worden? Wer redet wann mit der Presse? Besonders die Zurückverfolgbarkeit von ausgelieferten Waren ist wichtig, denn hier schlummert hohes Schadenpotenzial. Wie groß das Ausmaß sein kann, zeigt ein Beispiel aus der Kfz-Branche. „Im vergangenen Jahr hat ein Autohersteller in den USA Fahrzeuge wegen fehlerhafter Airbags zurückgerufen. Bei 600 Airbags war nicht klar, in welche Fahrzeuge sie eingebaut worden waren“, sagt Munich-Re-Mann Sattler. „Insgesamt mussten 600 000 Wagen zusätzlich zurückgerufen werden.“
Trotz steigender Schäden verdienen die Rückversicherer mit der Absicherung von Produktrückrufen gut. „Da Munich Re solche Risiken nur auf einem angemessenen Prämienniveau zeichnet, sind wir mit unserer Situation zufrieden“, sagt Sattler. Das liegt auch an der Tatsache, dass die Haftungszeitspannen bei Produktrückrufen für die Rückversicherer begrenzt sind.
Streit um die ErprobungProbleme könnte der Branche die sogenannte Erprobungsklausel in den Produktrückrufpolicen für Kfz-Zulieferer bereiten. Sie besagt, dass der Erstversicherer keine Schäden zahlen muss, solange die Produkte vor Auslieferung nicht ausreichend erprobt wurden. Die Autoindustrie kritisiert, dass diese Klausel intransparent sei, weil sie nicht definiere, wann ein Produkt ausreichend erprobt ist, und fordert ihre Abschaffung. Von der Klausel betroffen sind vor allem Zulieferer, da die Hersteller selbst keine solchen Verträge abschließen können.
„In dieser Diskussion haben erste Versicherer schon ihre Bereitschaft signalisiert, der Industrie entgegenzukommen“, sagt Georg Klinkhammer vom Deutschen Versicherungs-Schutzverband. Der Verband vertritt die Industrie in Versicherungsfragen. Möglich wäre die Einführung eines festen Kriterienkatalogs, nach dessen Abarbeitung ein Produkt als erprobt gilt.
„Für die Rückversicherer könnte die Abschaffung der Klausel einen Einschnitt bedeuten, weil die Erstversicherer dann künftig mehr für Produktrückrufe zahlen müssten“, sagt Aon-Mann Scholz. „Das würde auch auf die Rückversicherer zurückfallen.“
Quelle: Financial Times Deutschland
Dieser Beitrag ist nur für Premium-Abonnenten vom Versicherungsmonitor persönlich bestimmt. Das Weiterleiten der Inhalte – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Bitte bedenken Sie: Mit einer von uns nicht autorisierten Weitergabe brechen Sie nicht nur das Gesetz, sondern sehr wahrscheinlich auch Compliance-Vorschriften Ihres Unternehmens.
Diskutieren Sie mit
Kommentare sind unseren Abonnenten vorbehalten. Bitte melden Sie sich an oder erwerben Sie hier ein Abo